Ungeheuerliche Verbrechen

geschrieben von Erika Schwarz/Simone Steppan

18. November 2013

Die neue Ausstellung in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

 

Am 21. April, aus Anlass des 68. Jahrestages der Befreiung des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück, wurde auf dem Gelände der Mahn- und Gedenkstätte die neue Hauptausstellung eröffnet. Zu sehen ist sie in 34 Räumen des denkmalgerecht sanierten Gebäudes der ehemaligen SS-Kommandantur. Das Haus diente nach seiner Errichtung 1940 als Schaltzentrale der Organisation und Verwaltung des Lagers mit über Hunderttausend Häftlingen – Frauen, Männer und Kinder, die aus über 30 Ländern dort hin verschleppt worden waren.

Alyn Beßmann, Insa Eschebach (Hrsg.): Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Geschichte und Erinnerung. (Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Bd. 41). Metropol Verlag, Berlin 2013, 316 S., 24 Euro.

Alyn Beßmann, Insa Eschebach (Hrsg.): Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Geschichte und Erinnerung. (Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Bd. 41). Metropol Verlag, Berlin 2013, 316 S., 24 Euro.

Verantwortlich für Inhalt und Gestaltung der Ausstellung zeichnen die Historikerin Alyn Beßmann und die Leiterin der Gedenkstätte Dr. Insa Eschebach. Sie legten als Herausgeberinnen auch rechtzeitig im Metropol-Verlag den zu ihr gehörenden Katalog vor. Dr. Annette Chalut, Präsidentin des Internationalen Ravensbrück-Komitees, würdigt im Namen der ehemaligen Häftlinge in ihrem »Grußwort« die umfangreiche Forschungsarbeit, auf der die Ausstellung beruht, und betont, dass das Dokumentierte so ungeheuerlich sei, wie das gesamte System der Konzentrationslager überhaupt. Dieser Beurteilung ist uneingeschränkt zuzustimmen.

Der Begleitband übernimmt in seiner Gliederung die Konzeption der Ausstellung. In 13 Kapiteln, deren inhaltlicher Bogen sich von der »Entstehung und Entwicklung des KZ Ravensbrück« bis zum »Ravensbrück-Gedächtnis in Europa« spannt, sind alle Haupt- und ausgewählte Themen- und Abschnittstexte wiedergegeben. Neun Kapitel widmen sich dem Lagerkomplex Ravensbrück. Neben der Topographie des Konzentrationslagers wird die von der SS vorgenommene Kategorisierung der Häftlinge, wie »Zeuginnen Jehovas«, »Asoziale«, »Kriminelle«, »Politische«, »Sonder- und Sippenhäftlinge«, »Jüdinnen«, »Roma und Sinti« erklärt. Von den insgesamt 159 Porträts, die in der Präsentation dargestellt sind, werden im Katalog 52 Kurzbiografien der nach Ravensbrück Deportierten abgedruckt. Beeindruckend ist eine Auswahl von zeitgenössischen Quellen und persönlichen Zeugnissen, die in der Ausstellung wie im Katalog gelesen werden können. Darunter sind amtliche Dokumente, u. a. aus dem Nummernbuch des Männerlagers und dem Geburtenbuch, Entlassungsscheine und Arbeitseinteilungslisten. Einen großen Platz nehmen selbstangefertigte Zeichnungen der Gefangenen ein, die während der Haft oder in der wieder gewonnen Freiheit entstanden. Sie illustrieren künstlerisch-realistisch oder skizzenhaft, wie ihre Autoren den Lageralltag erlebten. Da werden Eindrücke von ihrer Ankunft im KZ und der unmittelbar danach erfolgten Prozedur wiedergegeben, die sie über sich ergehen lassen mussten, und Szenen, die von Solidarität und Selbstbehauptung zeugen oder den Tod von Mitgefangenen festhalten. Abbildungen von Häftlingskleidung, Gebrauchsgegenständen und selbst gefertigten Handarbeiten, vermitteln eine wenn auch vage Vorstellung davon, unter welchen menschenunwürdigen Bedingungen die Gefangenen über Monate oder Jahre existieren mussten.

Eine andere Dokumentengruppe umfasst Faksimiles von Briefen, die Lagerinsassen aus dem Ort des Leidens u. a. an ihre Angehörigen sandten, sich erhielten und der Gedenkstätte zur Verfügung gestellt wurden. Allen diesen Zeugnissen ist eines gemeinsam, sie belegen den unvorstellbaren Terror, unter denen die KZ-Häftlinge, Kinder eingeschlossen, leiden mussten. Ausgeübt wurde er durch ein straff geführtes Kontroll- und Bewachungssystem. Das wiedergegebene »Organisationsschema der SS des KZ Ravensbrück, Stand 1942« macht das deutlich. Von 1939-1945 wurden im KZ und in seinen Außenlagern 1.000 männliche SS-Angehörige und 3.300 Aufseherinnen eingesetzt. Ravensbrück diente zudem als Ausbildungsstätte für Aufseherinnen. Kurzbiografien stellen die beiden Lagerkommandanten Max Koegel und Fritz Suhren vor. Nach der Befreiung entzog sich der erste seiner Bestrafung durch Selbstmord, den zweiten verurteilte ein französisches Militärgericht zum Tode.

Das ganze Ausmaß des Häftlingseinsatzes mit seinen Standorten macht eine geographischen Karte anschaulich. Zehntausend männliche und weibliche Häftlinge des KZ Ravensbrück mussten vor Ort, in seiner näheren oder ferneren Umgebung Zwangsarbeit leisten. Ein Abschnitt befasst sich außerdem mit der Zwangsarbeit in KZ-Bordellen, deren Ermittlung ein Ergebnis von Forschungen der letzten Jahre ist. Ausführlich, in einem eigenen Kapitel, wird das »Jugendschutzlager Uckermark« beschrieben, seine Entstehung und Funktion. 1.200 Insassen, sie waren zwischen 16 und 21 Jahre alt, sollten hier »umerzogen« werden. Fünf der Betroffenen äußern sich über das im Lager Erlebte, gleichzeitig werden ihre Schicksale dokumentiert. Einen großen Platz nehmen im Katalog die Ausführungen zum »Krankenrevier« und zum Thema »Massenmord und Massensterben im KZ Ravensbrück« ein. Zwangssterilisation, Zwangsabtreibungen und furchtbare medizinische Experimente gehörten zu den mörderischen Praktiken der SS. Arbeitsunfähige, kranke oder behinderte Häftlinge wurden getötet, seit Anfang 1945 in einer provisorisch eingerichteten Gaskammer. Insgesamt, so weist eine Bilanz aus, wurden während der Existenz des Lagers 25.000 Frauen und 2.500 Männer umgebracht. Die letzten vier Kapitel widmen sich der Nachgeschichte. Mit der Befreiung des KZ Ravensbrück durch die Rote Armee am 30. April 1945 endeten die Qualen für die noch im Lager zurückgebliebenen 2.000 schwerkranken Häftlinge. Tage zuvor hatte die SS die Gefangenen auf Todesmärsche gehetzt. Eine Karte zeigt den Weg der Häftlingskolonnen, der von Ravensbrück über Malchow Richtung Schwerin führte. Mit Rettungstransporten des Roten Kreuzes, vor allem durch die Aktion der »Weißen Busse«, waren Tausendende Häftlinge und Kinder schon seit Anfang April aus der Hölle geholt worden.

Das Gelände und die Gebäude des Konzentrationslagers dienten nach der Befreiung anfangs als Repatriierungslager, später als Militärstützpunkt für die Besatzungstruppen.

Viele von denen, die das KZ überlebt hatten, engagierten sich in ihren Ländern, damit das nicht in Vergessenheit geriet, was sie unter der faschistischen Herrschaft erleiden mussten. Zahlreiche Fotos dokumentieren dieses Hervortreten.

Am 12. September 1959 wurde auf einem kleinen Teil des Terrains des ehemaligen KZ eine Nationale Mahn- und Gedenkstätte eingeweiht. Der Gedenk-ort bestand aus der Lagermauer, dem Lagermuseum, das sich im Zellenbau befand, dem Krematorium und der von Will Lammert geschaffenen Figur der Tragenden am Ufer des Schwedtsees. Abbildungen von Ravensbrück-Denkmalen, die in europäischen Städten, u. a. in Paris, Amsterdam, Brüssel und in Warschau stehen sowie der Hinweis auf offizielle und persönliche Gedenkzeichen beschließen den Begleitband. Am Ende soll der Leser auf das 9-seitige Impressum aufmerksam gemacht werden, hier insbesondere auf die Namensliste der 170 Überlebenden und ihrer Angehörigen, die zum Gelingen der Präsentation beitrugen.

Leider enthält der Katalog nur wenige Informationen über die wechselvolle Geschichte des Ausstellungsortes, des Gebäudes der SS-Kommandantur. Erste Verhandlungen zwischen der Regierung der DDR und dem Oberkommando der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) über die Erweiterung der Gedenkstätte begannen Ende 1965. Zu diesem Zeitpunkt bot die sowjetische Seite an, die ehemalige »Lagerkommandantur« frei zu geben, wenn sie im Gegenzug in Fürstenberg ein gleichgroßes Neubauobjekt für die Unterbringung der Offiziersfamilien beziehen könne. Dem stimmte das Ministerium für Kultur (MfK), dem die Gedenkstätte unterstand, aus finanziellen Gründen nicht zu, zumal bereits geplant war, den vorhandenen Kinosaal der Gedenkstätte zu vergrößern. Erst im Mai 1970 kam die Frage der Erweiterung des Erinnerungsortes durch Übernahme von Teilen des ehemaligen Lagers wieder in den Focus. In Ravensbrück und im MfK verfestigte sich die Annahme, dass die sowjetischen Streitkräfte das ehemalige KZ-Lager räumen würden, sowie die Hoffnung, zumindest einen Teil des Geländes für die Mahn- und Gedenkstätte nutzen zu können. Dem trat das Oberkommando der GSSD mit der Mitteilung entgegen, dass an eine Räumung nicht gedacht sei, sondern lediglich eine Rekonstruktion der Gebäude vorgenommen werde. Danach unterließ das MfK weitere Vorstöße, wissend dass diese von der sowjetischen Seite durch Gegenforderungen beantwortet worden wären.

Es vergingen weitere Jahre. Im November 1975 wurde über eine Neugestaltung der Gedenkstätte beraten. Anlass war der schlechte Zustand des »Zellenbaus«. Nach den Renovierungs- und Instandsetzungsarbeiten sollte dort eine neue Ausstellung gezeigt werden. Es war wohl Emmy Handke, Überlebende des Konzentrationslagers, Generalsekretär des Internationalen Ravensbrück-Komitees, Vorsitzende der Lagergemeinschaft Ravensbrück und Mitglied des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer, die in dieser Situation vorschlug, wegen der »Kommandantur« an die »Freunde« heranzutreten. Von April 1976 bis ins Jahr 1977 kam es zu Gesprächen und Begegnungen zwischen dem MfK, dem Komitee, dem Institut für Denkmalpflege und dem Oberkommando der GSSD, um die Übergabe der ehemaligen SS-Kommandantur zu erörtern. Die erfolgte am 12. Juli 1977, nachdem in Fürstenberg innerhalb von vier Monaten ein neues Wohnhaus für die 24 im »Kommandantengebäude« lebenden sowjetischen Familien errichtet worden war.

Mit der ehemaligen Kommandantur besaß die Gedenkstätte nun ein weiteres originales Objekt. Dort entstand im Obergeschoß auf 700 m2 das »Museum des antifaschistischen Widerstandes«. Es wurde am 8. September 1984 eröffnet. Am 23. Mai 1993 folgte die neu konzipierte Ausstellung: »Ravensbrück. Topographie und Geschichte des Frauen-KZ«.