»Überflüssig und schädlich«
21. November 2013
Bürgerrechtsorganisationen fordern die Abschaffung des VS-Geheimdienstes
Das Landeskriminalamt Hamburg wollte Ende der 90er Jahre das Verbot des Neonazi-Netzwerks »Aktionsbüro Nord« erreichen. Der Verfassungsschutz verhinderte das, um seine »Quellen zu schützen«. Diese Verbotsverhinderung wurde jetzt publik, als ein ehemaliger Staatsschützer des LKA Hamburg das Ganze ausplauderte. Auch hier führte, wie schon so oft, die V-Leute-Praxis zum Schutz und Erhalt der Neonazis.
Umso eifriger betätigt sich der Verfassungsschutz gegen links. Aus Niedersachsen wurde bekannt, dass der Verfassungsschutz jahrelang mehrere Journalisten, eine Grünen-Politikerin und einen Göttinger Anwalt überwachen und bespitzeln ließ.
Als die Journalistin Andrea Röpke, bekannt durch ihre Recherchen über Neonazis, vom Verfassungsschutz Auskunft darüber verlangte, was über sie gespeichert sei, löschte dieser die gespeicherten Daten und erklärte dreist, es gebe nichts Gespeichertes.
So hat sich, allen Beteuerungen zum Trotz, am Wesen des Geheimdienstes Verfassungsschutz grundlegend nichts geändert. Es bleibt dabei, dass dieser Verfassungsschutz mit seinen Geheimdienst-Praktiken und Methoden die Verfassung nicht schützt, sondern vielmehr in Frage stellt.
Das ist auch die Meinung mehrerer bundesdeutscher Bürgerrechtsorganisationen, unter ihnen die Humanistische Union, die Gustav Heinemann-Initiative, die Internationale Liga für Menschenrechte und der Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen.
In einem Aufruf fordern sie die Auflösung der Verfassungsschutzämter. In einem umfangreichen Memorandum begründen sie eingehend diese Forderung und appellieren an die Politiker aller Parteien, nach den jüngsten Geheimdienst-Skandalen endlich durchgreifende Konsequenzen zu ziehen.
Der Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz habe sich eindeutig als »überflüssig, schädlich, unkontrollierbar und ineffizient« erwiesen. Dabei handele es sich um permanente und systembedingte Defizite, die allen Versuchen einer Reform trotzen.
Die Bürgerrechtsorganisationen rufen die Bürgerinnen und Bürger auf, die Forderung nach Abschaffung des Geheimdienstes Verfassungsschutz zu unterstützen.
Till Müller-Heidelberg (Humanistische Union) weist darauf hin, dass bei einer Auflösung der Verfassungsschutz-Ämter keine »Sicherheitslücken« entstünden. »Auch wenn heute immer wieder die Gefahr terroristischer Anschläge beschworen wird – davor schützt uns kein Verfassungsschutz. Für die Abwehr unmittelbar bestehender Gefahren sowie für die Aufklärung solcher Gewalttaten ist allein die Polizei zuständig«.
Müller-Heidelberg verweist auf den jährlich von Bürgerrechtsorganisationen herausgegebenen »Grundrechte-Report«, der die Gefährdungen für Demokratie und Verfassungsordnung bilanziere. Diese gingen überdies überwiegend von staatlichen Stellen und Wirtschaftsunternehmen aus.
»Um Bedrohungen für unsere demokratische Gesellschaft zu erkennen, bedarf es keiner Geheimdienste. Die Experten zivilgesellschaftlicher Gruppen und sozialwissenschaftlicher Forschungen sind den Berichten und Lageeinschätzungen der amtlichen Verfassungsschützer deutlich überlegen, wenn es etwa um Diagnose, Analyse und Früherkennung rassistischer Strukturen oder gewaltorientierter Gefährdungen geht. Und sie kommen ohne Schnüffeleien und unüberprüfbare Verrufserklärungen aus«.
Für Rolf Gössner (Internationale Liga für Menschenrechte) sind die aktuellen Affären um NSU und NSA ein weiterer Beleg dafür, dass Geheimdienste wie der VS strukturell unkontrollierbar sind, skandalträchtig arbeiten und zur Verselbständigung neigen. »Das ist eine große Gefahr für viele Menschen und ihre Bürgerrechte.«
Mit Blick auf die beabsichtigte Stärkung der Kompetenzen des Bundesamtes warnt Gössner: »Das wäre der Grundstein zum nächsten Skandal, wenn der Verfassungsschutz am Ende gestärkt aus dem gewaltigen Desaster, das er selbst angerichtet hat, hervorginge. Ihm sollten schleunigst die nachrichtendienstlichen Mittel und Methoden entzogen werden – damit die Gesinnungskontrolle und das kriminelle V-Leute-Unwesen endlich ein Ende finden.«