Der erste Aufstand

geschrieben von Gerald Netzl

13. Januar 2014

Was geschah am 12. Februar 1934 in Wien?

 

Der 12. Februar 1934 stellt eines der historischen Daten des Zwanzigsten Jahrhunderts für Österreich dar. An diesem Tag endete mit dem Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei endgültig die 15 Jahre dauernde demokratische Phase der Ersten Republik. Der schrittweise Abbau demokratischer Rechte sowie sozialer Errungenschaften durch die bürgerlichen Bundesregierungen mündete in einem verzweifelten Aufstandsversuch von Teilen des seit 31. März 1933 verbotenen Republikanischen Schutzbunds. Verkürzt dargestellt kann man den Schutzbund mit dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold vergleichen, wenn dieser auch militärisch höher gerüstet war bzw. besser bewaffnet.

John Heartfield »Die alte Welt hat ihre Pleitegeier, Österreich hat einen mit zwei Köpfen«, 1934

John Heartfield »Die alte Welt hat ihre Pleitegeier, Österreich hat einen mit zwei Köpfen«, 1934

Linz, Montag, 12. Februar 1934, 7:00 Uhr. Die Polizei durchsucht das sozialdemokratische Parteiheim im Hotel »Schiff« nach Waffen. Mitglieder des Republikanischen Schutzbunds eröffnen das Feuer. Der Kampf, das Wort »Bürgerkrieg« wäre trotz der Schwere der Ereignisse übertrieben, hat begonnen. Neben Linz sind Steyr, Bruck an der Mur und Graz die Hauptzentren der Kämpfe. In Wien setzt der Widerstand um 11:46 Uhr ein: E-Werk-Arbeiter schalten den Strom ab und geben damit das vereinbarte Signal zum Generalstreik. Die ersten Schüsse fallen. Die Bundesregierung verhängt das Standrecht … Am Donnerstag, dem 15. Februar, sind die Kämpfe zu Ende. Ein Generalstreik hat nicht stattgefunden, die Arbeiterschaft war nach fünf Jahren Weltwirtschaftskrise zu demoralisiert. Die Regierung ist endgültig »Herrin der Lage«. Die Opfer in ganz Österreich (nach offiziellen Angaben): 118 Tote und 486 Verwundete auf Regierungsseite, 196 Tote und 319 Verwundete auf der Gegenseite. Neun Schutzbündler werden standrechtlich gehenkt, mehr als 1.200 eingekerkert.

In Wien hatte man erst in der Vorwoche Hausdurchsuchungen im Parteihaus und in den großen Wohnhausanlagen der Stadt (»Gemeindebauten«) erlebt. Vom Dachboden bis zum Keller suchte die Polizei – vergeblich – nach Waffen. Die Parteiführung, unter dem Eindruck des verheerenden Schicksals der Arbeiterparteien im Deutschen Reich, war immer noch in der Hoffnung auf einen Kompromiss mit der Regierung. Es sollte anders kommen.

Vier Tage lang dauert der Kampf um den Karl-Marx-Hof, jenes Bauwerk, das in der ganzen Welt als Symbol der sozialen Wohnbautätigkeit des »Roten Wien« gilt. Montagnachmittag hatte die Polizei nach vergeblicher Waffensuche Beobachtungsposten rund um den großen Gebäudekomplex aufgestellt. Gegen 19:00 Uhr kam es zu blutigen Zusammenstößen. Schutzbundführer Emil Svoboda wird wegen dieser Kämpfe am 15. Februar standrechtlich hingerichtet.

Montagabend vertreibt der Schutzbund vorübergehend die Polizei aus dem Wachzimmer des benachbarten Bahnhofs Heiligenstadt. Der Bahnverkehr auf der Franz-Josefs-Bahn wird unterbrochen. Gegen 23:00 Uhr rückt der Heimatschutz an und nimmt die Verteidiger unter Beschuss. Ein Angriff wird zurückgeschlagen. Nun kommt das Bundesheer. Um 1:00 Uhr eröffnen die Haubitzen einer Gebirgskanonenbatterie von der Hohen Warte her das Feuer auf den Wohnkomplex. Um 4:00 Uhr früh kommt Fey und billigt ausdrücklich den Plan, den Karl-Marx-Hof mit Artillerie sturmreif zu schießen. In den Wohnungen befinden sich Frauen und Kinder.

Am 13. Februar, um 9:45 Uhr, trifft die Artillerie den »Blauen Bogen« im dritten Stockwerk. Nun folgt der Sturmangriff. Aber die Verteidiger geben nicht auf. Stundenlang tobt ein erbitterter Kampf. Dann müssen die Panzerautos und Kanonen nach Floridsdorf, diesen Bezirk kontrolliert als einzigen der Schutzbund, abgezogen werden, auch wird das Feuer aus anderen nahen Gemeindebauten immer heftiger. Die Angreifer ziehen sich aus dem halbzerstörten Gebäude wieder zurück.

Nun wenden sich Polizei, Militär und Heimwehr gegen die Gemeindebauten der Umgebung und treiben deren Verteidiger in die Schrebergärten. In der Nacht zum Mittwoch kommen neue Truppen, wagen aber keinen Angriff. Erst am 15. Februar, als Militär in überwältigender Stärke aufmarschiert und neuerlich Kanonen schießen, hissen die Verteidiger die weiße Fahne. Um 14:30 Uhr besetzt die Exekutive den Hof.

Am Sonntag danach fuhren die Wiener zu den Stätten der Zerstörung: Die einen sahen sie mit Genugtuung, die anderen mit bitterer Trauer. Die Risse, die die Artillerie der Regierung in die Arbeiterhäuser geschossen hatte, gingen auch durch die Herzen. Sie machten Österreich sturmreif für eine noch viel grausamere Diktatur vier Jahre später. Heute, achtzig Jahre danach, sind die Ereignisse weitgehend in Vergessenheit geraten, Medien und Öffentlichkeit konzentrieren sich auf 1914 und den Beginn des Ersten Weltkriegs. Doch es bleibt, dass Österreichs Arbeiter als erste in Europa dem Faschismus mit der Waffe entgegen traten.