Vom Umgang mit Literatur

geschrieben von Ulrich Schneider

13. Januar 2014

Leonhard Kossuths Blick auf die Wladimir-Majakowski-Rezeption

 

Wer kennt ihn nicht, den Dichter der Revolution, den Verfasser des »linken Marsches«, den Maler der ROSTA-Fenster, den Konstruktivisten und Futuristen, den Satiriker und Propagandisten der Sowjetunion oder welches Etikett man ihm noch angehängt hat: Wladimir Majakowski? Als er nach seinem Tod angefeindet wurde, hat der Vermerk Stalins, Majakowski sei der beste und talentierteste Dichter der Sowjetmacht, sicherlich sein Ansehen gerettet. In den 50er Jahren hat ihm dieses Lob aber ebenso geschadet, galt er doch damit als Dichter des Stalinismus.

Leonhard Kossuth, Der Hut flog mir vom Kopfe, Majakowskis Zylinder?, NoRa-Verlagsgesellschaft Berlin 2013

Leonhard Kossuth, Der Hut flog mir vom Kopfe, Majakowskis Zylinder?, NoRa-Verlagsgesellschaft Berlin 2013

Wie schwierig eine angemessene Annäherung an diesen großartigen sowjetischen Dichter tatsächlich ist, kann man nun noch einmal im Detail nachvollziehen, Leonhard Kossuth, Herausgeber der umfangreichsten deutschsprachigen Werkausgabe Majakowskis, legte jüngst unter dem Titel »Der Hut flog mir vom Kopf« eine autobiographische und literaturwissenschaftliche Annäherung an ihn vor. Ende der 50er Jahre begann Kossuth, der sich seit mehreren Jahren mit Majakowskis Lyrik und anderen Werken beschäftigt hatte, eine Dissertation zum Thema »Majakowskis Werke in Deutschland«, bis er durch die Verhaftung seiner Frau durch die Stasi von seinem Thema abgelenkt wurde. Auch wenn er die Dissertation nicht wieder aufnahm. blieb Kossuth dem Thema verbunden und editierte im Verlag »Volk und Welt« von 1966 bis 1973 die fünfbändige Werkausgabe, die in der BRD vom Insel-Verlag herausgegeben wurde.

Der vorliegende Band mit über 660 Seiten ist eine wahre Fundgrube, nicht für Freunde des russischen Dichters, sondern auch zum Umgang mit Literatur, mit dem historischen und politischen Erbe und letztlich mit kritischem Denken in der DDR. Kossuth lässt in seinem fiktiven Brief an Wladimir Majakowski, den er dem Band voranstellte, keinen Zweifel daran, dass er – bei allen Fehlern, Schwächen und Versäumnissen – den sozialistischen Weg der DDR für die bessere Perspektive der Entwicklung hält. Und er zitiert immer wieder Gedichte oder aus Werken, um deutlich zu machen, wie gegenwärtig für ihn dabei die Texte von Majakowski sind.

In seinem Buch lässt Kossuth den Leser teilhaben an dem Prozess der Auseinandersetzung mit Majakowski, ind em er die vorliegenden Teile der abgebrochenen Dissertation und fast achtzig Korrespondenzen mit Persönlichkeiten und Institutionen zur deutschen Majakowski-Rezeption abdruckt. Man erkennt, wie unterschiedlich, aber auch wie komplex sich die Nachdichtung von Majakowskis Lyrik gestaltete. Spannend – nicht nur für Spezialisten – ist dabei ein Gutachten von Erich Weinert vom August 1940 über zwei unterschiedliche Ansätze der Nachdichtungen. Nachdichtung ist weit mehr ist als nur die Übersetzung fremdsprachiger Texte. Das Ringen um das »richtige« Wort ist immer auch eine Interpretation der Texte für die heutige Zeit. Es spricht für Kossuth, dass er für seine Dissertation den Kontakt zu verschiedenen Übersetzern gehalten hat und ihre zum Teil divergierenden Perspektiven auf den Dichter aufnahm. Die Vielfalt der Zugänge wird in der »Bibliographie deutscher Nachdichtungen/Übertragungen« sichtbar, die zwar nur den Zeitraum bis Anfang der 70er Jahre abdeckt, aber viele große Namen wie Johannes R. Becker, Karl Dedecius, Johannes von Günter, Hugo Huppert, Franz Leschnitzer und Erich Weinert umfasst – nicht zu vergessen Kossuths eigene Nachdichtungen.

Ein Aspekt aus antifaschistischer Perspektive ist noch berichtenswert. In der Bibliographie der deutschsprachigen Veröffentlichungen wird in den Jahren 1930 bis 1947 Majakowskis Wirkung sichtbar. Nachdem er in der Weimarer Zeit zunächst nur in linken Kreisen rezipiert wurde, fand er 1932 und 1933 auch Aufnahme in Lexikoneinträgen des »Großen Brockhaus« und des »Großen Herder«. Doch bereits am 10. Mai 1933 landeten seine Gedichte auf dem Scheiterhaufen der Bücherverbrennung und 1935, 1938 und 1942 in der faschistischen »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums«.

Folgerichtig veröffentlichte die Zeitung der SMAD »Tägliche Rundschau« schon im Oktober 1945 als kulturelle »Orientierungshilfe« für den antifaschistischen Neubeginn einen Beitrag von Ossip Brick über Majakowski. Am 18. April 1946 folgten drei weitere ausführliche Beiträge. Im Herbst 1946 erschien von Hugo Huppert herausgegeben der erste Band ausgewählter Gedichte im Verlag der sowjetischen Militärverwaltung.