Besser nachfragen

geschrieben von Axel Holz

27. Januar 2014

Gab es viel mehr Opfer rechter Gewalt als angenommen?

 

Die Staatsanwaltschaft Magdeburg sah nach dem Überfall auf einen Dönerbudenbetreiber und dessen Freundin am Bernburger Bahnhof keinen Anlass, ein rassistisches Tatmotiv zu unterstellen. Mit Rufen wie »Scheiß Ausländer« und »Scheiß Türke« hatten Jugendliche aus der Schönebecker Naziszene am Rande einer Feier den Imbissbesitzer angegriffen und lebensgefährlich verletzt. Derartige Taten hatten auch die Fraktionen der Linken und der Grünen im Blick, als sie in einer Anfrage an die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern fünf Morde hinterfragten. Drei Obdachlose und zwei Migranten wurden zwischen 1996 und 2001 in Mecklenburg-Vorpommern getötet, die in das Feindbild der Neonazis passen, aber nicht als Opfer rechter Gewalt erkannt wurden. In der Begründung hatten die Parteien darauf verwiesen, dass von 152 Todesopfern rechter Gewalt, die unabhängige Untersuchungen nennen, nur 63 behördlich anerkannt sind.

Innenminister Caffier (CDU) wies in der Antwort der Landesregierung darauf hin, dass zu den Fällen keine Anhaltspunkte oder Tatsachen festgestellt worden seien, die eine rechtsgerichtete Tat vermuten ließen. Die Nachfrage dürfte aber berechtigt gewesen sein. Denn mittlerweile stießen die Ermittler des Bundeskriminalamtes bei der Analyse von 3.000 Fällen auf möglicherweise 746 vollendete oder versuchte Tötungen, bei den 849 Menschen starben oder lebensgefährlich verletzt wurden. Es geht dabei und Delikte, bei denen bisher keine Tatverdächtigen bekannt waren. Für die jetzt laufende Untersuchung aller ungeklärten Verdachtsfälle seit 1990 wurde ein »Indikatorenkatalog« erstellt, der untersucht, ob Opfer in rechtsradikale Feindbilder passen. So wird gefragt, ob die Opfer Migranten, Obdachlose oder Homosexuelle sind oder die Tat einen andern politischen Hintergrund hatte.

Die Opferzahl rechter Gewalt könnte sich in Bezug auf vollendete und versuchten Tötungen dadurch auf mehrere Hundert erhöhen. Bundestagsvize Petra Pau sagte, dass die Diskrepanz zwischen den Opferzahlen von Journalisten und gesellschaftlichen Initiativen auf der einen Seite und offiziellen Statistiken auf der anderen Seite nicht hinnehmbar sei. Sicherheitsbehörden hätten die Dimension rechter Gewalt jahrelang verharmlost, kommentierte die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung Anetta Kahane. Es bleibt zu hoffen, dass die Innenminister der Länder nun genauer hinschauen, wenn es um rechte Gewalt geht – bei falsch beurteilten Gewalttaten in der Vergangenheit ebenso wie bei absehbaren Fällen in der Zukunft.