Gesellschaft voller Gewalt

geschrieben von Janka Kluge

14. März 2014

Das Buch »Exodus« von DJ Stalingrad

 

Das vorliegende Buch hat mich noch Tage nachdem ich es gelesen hatte, nicht losgelassen. Der Moskauer Antifaschist Piotr Silaev erzählt darin unter dem Pseudonym DJ Stalingrad von militanten Aktionen gegen große Gruppen von Faschisten. Obwohl die Faschisten meist in der Überzahl waren, gelang es Silaev und seinen Freunden oft, sie zurückzuschlagen.

Er reiste Ende 2008 nach Finnland und Griechenland, weil ihm in Moskau die Verhaftung drohte. Hier schrieb er weiter und veröffentlichte unter dem Pseudonym Exodus. Er kehrte allerdings nach Russland zurück und wurde 2010 nach der Auseinandersetzung um die geplante Abholzung eines Waldes bei der Chimki erneut zur Fahndung ausgeschrieben. Piotr Silaev konnte nach Spanien fliehen. Der spanische Staat hat bis jetzt alle Auslieferungsanträge gegen Silaev abgelehnt, weil er eindeutig wegen seiner antifaschistischen Haltung ausgeliefert werden soll.

Im griechischen Exil schrieb er den Roman, jetzt unter dem Pseudonym Exodus, weil er in Russland unter DJ Stalingrad bekannt war. Zunächst war der Text nur über verschiedene russische Internetseiten zugänglich. Erst 2010 hat ihn die Literaturzeitung Snamja veröffentlicht. In Deutschland hat ihn der Berliner Verlag Mathhes & Seitz Anfang 2013 herausgebracht.

In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, das im Januar 2013 veröffentlicht wurde, sagte Silaev: »Im Buch gibt es eine Episode, wo ich das erste anti-faschistische Musikfestival in Moskau beschreibe. Das war 2007. Den Erlös haben wir an ein Waisenhaus gespendet. Rund um das Festival gab es den ganzen Tag Schlägereien mit attackierenden Nazi-Gruppen. Aber wir haben sie zurückgeschlagen – und danach haben sie nie wieder versucht, ein Festival von uns offen anzugreifen. Sie haben sich von da an vor allem auf Menschenjagden und kleinere Attacken konzentriert.«

Trauriger Höhepunkt der Erzählung ist der Mord an dem jungen Antifaschisten Fedja aus Moskau. Er wurde auf dem Weg zu einem Punkkonzert von Faschisten erstochen.

Immer wieder treffen die antifaschistischen Red-skins auf Nazis. Bei Auswärtsspielen ihres Fußballvereins schließen sich rechte Hooligans zusammen, um sich Schlägereien mit ihnen zu liefern. Als er wieder einmal verhaftet worden war fragte ihn ein Polizist, warum sie so leben. Seine Antwort steht stellvertretend für einen Teil der russischen Jugend.

»Jeder verbringt seine freie Zeit, wie er Bock hat. Der eine hängt in Hauseingängen rum, der andere in Spielhallen, und wieder ein anderer zieht sich gut an, geht zu einem Konzert oder fährt zu einem Auswärtsspiel in eine andere Stadt, amüsiert sich mit fröhlichen Mädchen, interessiert sich für irgendwas, spielt Gitarre in einer Band. Das machen die Klugen, es ist billig und schön. Wir versuchen doch nur, mit unseren begrenzten Mitteln zu leben wie die Könige, wie man so sagt. Doch in dieser Stadt, in Moskau ist alles immer voller Scheißer, ständig muss man seinen Platz an der Sonne von Dreck säubern. Massen von Idiotien stören die Moskauer dabei, schön zu leben und ihren Feierabend zu genießen.«

Piotr Silaev betont in Interviews immer wieder, dass sein Buch nicht nur ein Buch über Nazis und Antifaschisten ist, sondern das Gefühl einer ganzen Generation ausdrückt, die »Gewalt mit der Muttermilch« aufgesogen hat und sich nur durch sie äußern kann.

Schwer nachvollziehbar war für mich seine Sympathie für den Una-Bomber Theodore Kaczynski. Dieser hatte mehrere Briefbomben an Personen in Amerika geschickt, bei denen drei Personen getötet und 16 verletzt wurden. Der bekennende Anarchist wollte den Fortschritt bekämpfen und schickte die Briefbomben hauptsächlich an Manager von Computerfirmen und Fluggesellschaften.

Obwohl das Buch voller Gewalt ist, ist Piotr Silaev selbst einen anderen Weg gegangen. In dem schon erwähnten Interview sagte er zum Schluss:

»Aber allein Gewalt reicht natürlich nicht aus, um etwas zu verändern. Man braucht einen administrativen und zivilgesellschaftlichen Körper, der von einem mehr verlangt als nur Kampfkünste. Das haben wir ja auch mit unseren Aktivitäten umgesetzt und bewiesen, dass man mit Strukturen erfolgreich sein kann. Ich bin diesen Weg der Veränderung ja selbst gegangen. Vom Straßenkampf zum strukturellen Protest und zivilen Ungehorsam. Und frag jetzt nicht, ob wir glauben, dass das etwas Großes in Russland verändern könne. Natürlich glauben wir, dass das alles letzten Endes keinen Sinn hat. Aber wir müssen es zumindest versuchen.«

Dieser Ansatz wird auch in einem Nachwort deutlich, das er für die deutsche Ausgabe in Spanien geschrieben hat. Der militante Kampf damals war wichtig und richtig, um die Gesellschaft aber zu verändern, bedarf es anderer Ansätze.

Das Buch ist erschreckend, aber wichtig für alle, die ihren Blick auf die russische Gesellschaft schärfen wollen.