Aktiv gegen Antisemitismus
18. März 2014
Interview mit Aycan Demirel von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus
antifa: Ihr macht »politische Bildung für die Migrationsgesellschaft« – was kann man sich darunter vorstellen?
Aycan Demirel: Uns ist es wichtig, dass Antisemitismus nicht als sogenanntes Randgruppenphänomen angesehen wird. Dies geschieht allerdings viel zu häufig in der öffentlichen Wahrnehmung. Antisemitische Vorurteile gibt es in der gesamten Gesellschaft und genau dort muss Bildungsarbeit ansetzen. Dabei ist es essentiell, anzuerkennen, dass wir in einer Migrationsgesellschaft leben, also in einer heterogenen Gesellschaft, in der Menschen ganz unterschiedliche Bezüge, etwa zu Herkunft, Geschichte und Politik haben. Es geht uns auch um eine Anerkennung dieser Bezüge.
antifa: Zu welchen Themen arbeitet ihr und wie sieht eure Pädagogik in der Praxis aus?
Aycan Demirel: Wir bearbeiten vor allem aktuelle Inhalte wie den Nahostkonflikt, antimuslimischen Rassismus und den politischen Islam. Dies sind Themen, die junge Menschen bewegen und worüber sie sprechen möchten. Doch im Unterricht ist meistens kein Raum dafür. Daher bieten wir Projekttage oder auch Projektwochen an. Darüber hinaus haben wir auch Methoden zur Geschichte des Nationalsozialismus entwickelt.
antifa: Ihr feiert in diesem Jahr euren 10. Geburtstag. Wie seht ihr auf die vergangenen Jahre zurück?
Aycan Demirel: Sehr positiv. Wir haben trotz der unsicheren und teilweise auch unzureichenden Finanzierung unserer Arbeit viel erreicht: unzählige Workshops mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, Hunderte von Fortbildungen, viele Seminare und Tagungen. Wir sind gut vernetzt und beraten Projekte, Organisationen und Akteure, die die Themen Antisemitismus und Islamismus politisch, wissenschaftlich und pädagogisch bearbeiten. Wir sind für unsere Arbeit wiederholt ausgezeichnet worden; zuletzt mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage des Zentralrats der Juden in Deutschland.
antifa: Und trotzdem müsst ihr um eure Existenz fürchten?
Aycan Demirel: Ja, zur Zeit wird unsere Arbeit nicht bezahlt. Die Finanzierung durch die Modellprojekte der Bundesregierung ist im vergangenen Jahr ausgelaufen und wir verfügen über keine institutionelle Förderung. Wir betreiben unser Büro derzeit ehrenamtlich und sind auf Spenden angewiesen, um es zu erhalten. Durch den Regierungswechsel auf Bundesebene ist unklar, wann mit einer neuen Förderung von Projekten wie unserem zu rechnen ist.
Die Fragen stellte Martin Schirdewan