Heldengedenken für die SS
14. Mai 2014
Hintergründe und aktuelle politische Entwicklungen in Lettland
Die Okkupation Lettlands durch Nazideutschland begann mit dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion im Juni 1941. Gleich in den ersten Tagen des Krieges fanden sich in Lettland Menschen, die bereitwillig ihren Wunsch zur Zusammenarbeit mit dem Naziregime erklärten. Aus diesen Leuten formierten sich die Bataillone der Ordnungspolizei, der Hilfspolizei des SD und die sogenannten Selbstschutzformationen. Eingesetzt zur Bewachung von Gettos und Konzentrationslagern, die auf Befehl der Nazi-Behörden ab Juni 1941eingerichtet wurden, waren sie aktiv am Naziterror beteiligt, wie auch an der Vernichtung ihrer Insassen und sowjetischer Aktivisten auf den Territorien von Lettland, Weißrussland und Russland.
Im März 1943 wurde auf Befehl von Heinrich Himmler die lettische Freiwilligen-Legion der Waffen-SS »Lettland« aufgestellt. Den Kern der Legion bildeten alle oben aufgezählten Strukturen, die entsprechend Himmlers Befehl automatisch darin aufgingen. Die Aufnahme von Freiwilligen wurde bekanntgegeben. Insgesamt haben in den Jahren 1943 bis 1945 etwa 130000 Personen der lettischen Legion der Waffen-SS freiwillig oder einberufen angehört. Die 15. und 19. Divisionen, die zur Legion gehörten, haben sowohl an Kampfhandlungen an der Leningrader Front in Russland, auf den Territorien Lettlands, Polens, der Tschechoslowakei und Deutschlands als auch an Strafoperationen gegen die Bevölkerung in Weißrussland während der von den Nazi-Befehlshabern durchgeführten Operation »Winterzauber« teilgenommen.
Nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Lettlands 1991 bestand das Hauptanliegen der zur Macht gekommenen neuen Politiker vor allem im Streben, mittels aller möglicher Methoden die 50 Jahre Zugehörigkeit Lettlands zur UdSSR auszulöschen. Alles, was sich in diesen Jahren ereignet hatte, wurde in den allerfinstersten, brutalen Farben interpretiert. Darunter auch die Rolle der Sowjetunion bei der Zerschlagung des Nazismus. In den Arbeiten gegenwärtiger Geschichtsschreiber wird die Sowjetarmee ausschließlich als Okkupationsarmee präsentiert. Dementsprechend wurden diejenigen, die gegen die Okkupanten kämpften, und namentlich die Legionäre der Waffen-SS als Soldaten, die gegen die Okkupanten kämpften, d.h. als Befreier-Soldaten dargestellt. Dass sie unter Nazi-Fahnen kämpften und ihre Treue zu Hitler geschworen hatten, wurde anfangs diskret verschwiegen, doch in den letzten Jahren als »Schwur im Kampf gegen den Bolschewismus« interpretiert.
1998 hat der Sejm Lettlands den 16. März sogar als Tag der lettischen Legionäre in den Kalender staatlicher Gedenktage aufgenommen. Genau dieses Datum hatten kriegsgefangene Legionäre 1946 in belgischen Übergangslagern gewählt, die dort den Veteranenverband »Daugavas vanagi« (Habichte von Daugava) gründeten und damit die Tradition des am gleichen Tag in Nazi-Deutschland gefeierten »Heldengedenktags« als Tag der ersten Kampfhandlungen der lettischen Legion der SS gegen Einheiten der Roten Armee fortgesetzt. Doch unter dem Druck der Weltöffentlichkeit wurde dieser Feiertag 2001 wieder aus dem Kalender der Gedenktage in Lettland gestrichen.
Das aber haben die rechtsradikalen Organisationen nicht akzeptiert und veranstalten am 16. März jährlich feierliche Umzüge zur Ehrung des Heldentums der »Kämpfer für die Freiheit Lettlands« – der Legionäre der Waffen-SS. Von Jahr zu Jahr verringert sich die Anzahl der an den Umzügen teilnehmenden Veteranen der Legion, doch die Gesamtzahl der Teilnehmer nimmt zu und wächst vor allem durch die Einbeziehung von Jugendlichen und sogar von Kindern im Vorschulalter. Besonders angewachsen ist die Popularität dieser Umzüge mit dem Einzug der rechtsradikalen Partei »Visu Latvijai!« (Alles für Lettland!) – eines aktiven Teilnehmers und Organisators der Feierlichkeiten zum 16.März in den lettischen Sejm. Diese Partei hat 14% der Sitze im Parlament und ihr Führer wurde als Teil der Regierungskoalition zum Vorsitzenden der Parlamentskommission für die patriotische Erziehung der Jugend ernannt. Man kann sich leicht vorstellen, welche Art von »Patriotismus« diese Kommission für die Erziehung der heranwachsenden Generation in Lettland empfiehlt.
Im Gegensatz dazu werden die Protestaktionen antifaschistischer Organisationen von den lettischen Behörden mit allen Mitteln blockiert. Jedes Jahr unterschreibt der Innenminister Lettlands kurz vor dem 16. März einen Befehl über zeitweilige Einreisebeschränkungen für bestimmte Personen. In der Regel werden in dieser Liste die Vorsitzenden der europäischen antifaschistischen Organisationen aufgeführt, doch niemals wird Neonazis die Einreise nach Lettland versagt, die sich an diesem Tag, aus allen Nachbarländern kommend, in Lettland zusammenrotten.
Diese Entwicklungen lassen sehr ernsthafte Befürchtungen für die Perspektiven der demokratischen Entwicklung in Lettland aufkommen.