Als der Staat »Rot« sah

geschrieben von Hans Canjé

11. September 2014

Dominik Rikoll hat eine umfassende Studie zum »Staatsschutz« vorgelegt

 

Das ist ein großer Bogen, den der wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Neuste Geschichte an der Friedrich Schiller Universität Jena da mit seiner Arbeit schlägt. Sie lasse, so der Verlag in seiner Werbung für das Buch mit dem Untertitel »Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr«, als »quellennahe Untersuchung zu diesem Themenkomplex«, die »Geschichte der ‚freiheitlich-demokratischen Grundordnung’ in bisweilen ungewohntem Licht erscheinen.«

Die Anmerkung trifft zumindest für die nach 1989 betriebene Geschichtsschreibung zu, laut der die Alt-BRD von unbefleckter Geburt war und alles, was bis dahin im Geltungsbereich der FDGO geschehen war, den Lehren der reinsten Demokratie entsprochen hat.

Dominik Rikoll: »Staatschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur »Extremistenabwehr«. Wallstein Verlag, 525 Seiten, 39,90 Euro

Dominik Rikoll: »Staatschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur »Extremistenabwehr«. Wallstein Verlag, 525 Seiten, 39,90 Euro

»Als der Staat Rot sah« wäre, liest man alles, was der Autor tatsächlich »quellennah« zusammengefügt hat, ein möglicher alternativer Titel. Standen doch die Kommunisten in all den Jahren, da der »Staatsschutz« mit all dem, was da über Verfassungsschutz, Polizei, Justiz und den diversen »Abwehrdiensten«, kurz mit Legislative, Exekutive und Judikative existierte, im Mittelpunkt staatsschützenden Handelns. Das begann unter dem Deckwort »Antitotalitärer Konsens« mit dem »Adenauererlass« von 1950. Damit kamen schon die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) und die »Vorfeldorganisationen« wie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) auf den Index; ihre Mitglieder im Staatsdienst wurden entlassen. Mit dem 1. Strafrechtsänderungsgesetz von 1951 (Blitzgesetz) wurde erklärtermaßen die »Waffe geschmiedet, um im Kalten Krieg zu bestehen«. Im selben Jahr konnten durch das 131er-Gesetz all die Vollstrecker des faschistischen Regimes wieder auf ihre Plätze zurückkehren, deren sie 1945 in Erfüllung des Potsdamer Abkommens der vier Alliierten enthoben worden waren. Von dieser » Reintegration« profitierten etwa 200.000 Offiziere, Beamte und Richter, die kein Problem mit der neuen Ordnung hatten; sie standen Mann für Mann für die »streitbare Demokratie«, die Adenauer ausgerufen hatte und schwangen kräftig das Schwert. Ihre Teilnahme an der neuen Verfolgung der Kommunisten war, wie der Autor konstatiert, nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die in Justiz und Sicherheitsbehörden dominierenden braunen Eingegliederten ein »materielles Interesse« daran gehabt hätten, »die einzige politische Gruppierung von Relevanz mundtot zu machen, die weiterhin in aller Öffentlichkeit aus der NS-Belastung eines Beamten […] dessen mangelnde Eignung ableitete«. Rikoll verweist auf die Auflistung dieser »Interessierten« im »Braunbuch« der DDR. Er zitiert den damaligen hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der den Bundesgerichtshof als »Traditionskompanie des Reichskriegsgerichts« bezeichnet hatte.

Das hier etwas unterbelichtete KPD-Verbot von 1956 (»das vor dem Hintergrund der Wiederbewaffnung und auf einem der Höhepunkte des Kalten Krieges gefällt worden war«) als eines der folgenreichsten Instrumente nicht nur gegen KPD-Mitglieder, der gescheiterte Verbotsprozess gegen die VVN, die Neuauflage des »Adenauerlasses« von 1950 in Gestalt der Berufsverbote oder auch »Extremistenbeschluss« von 1972 weist der Autor mit zahlreichen Beispielen und vor allem von kritischen Organisationen mit statistischem Material belegt, als weitere Stationen auf dem Weg zur Einschüchterung, der Erziehung zum Duckmäusertum und der Gesinnungsschnüffelei nach.

Die umfangreiche Arbeit (525 Seiten) ist tatsächlich quellenah und es verblüfft, was da alles schon in den Ruch der »Verfassungsfeindlichkeit« bringen konnte: eine Unterschrift gegen Fahrpreiserhöhungen oder für den Bau eines Kindergartens. An einigen Stellen ist Rikoll ein wenig dicht an »Quellen« aus den Häusern ehemals Gauck oder Knabe dran. Da »scheint« manches oder »dürfte sein« oder »anscheinend«. Doch das schmälert nicht den Wert dieses Buches, das all denen zur Lektüre empfohlen sein kann, die mehr über die jene FDGO wissen möchten, der ja nun auch die Bürger diesseits der Elbe in Treue fest zu dienen verpflichtet sind.