Auch die Täter haben Namen

geschrieben von Jürgen Weber

23. September 2014

Sant`Anna di Stazzema: Hoffnung auf Gerechtigkeit

 

Im Strafverfahren gegen die in Italien schon seit neun Jahren verurteilten Täter des Massakers von Sant`Anna di Stazzema (Toskana) scheint es auch in Deutschland eine späte Wende zu geben. Die am 5. August 2014 über die Pressestelle des Oberlandesgerichts Karlsruhe verbreitete Mitteilung zeigt der Stuttgarter Justiz recht deutlich auf, dass sie die Mittel des Rechtsstaates gegen die Täter einer SS-Division nicht ausgeschöpft und eine angezeigte Strafverfolgung damit verhindert hat. 560 Menschen, vorwiegend Alte, Frauen und Kinder, wurden in verschiedenen Weilern und auf dem Kirchplatz des Dorfes Sant` Anna am 12. August 1944 von SS-Einheiten systematisch ermordet, so begutachtete der Kölner Historiker Carlo Gentile jedenfalls die Tat. Kritik am jahrelangen Verschleppen und der schlussendlichen Einstellung der Ermittlungen prallte bislang an Justiz und Politik ab. Der baden-württembergischen Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) ließ unmittelbar nach der Einstellungsverfügung vermelden, er habe keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ermittlungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaften. Damit dürfte es nun vorbei sein.

Rechtsanwältin Gabriele Heinecke mit ihrem Mandanten, dem Überlebenden Enrico Pieri

Rechtsanwältin Gabriele Heinecke mit ihrem Mandanten, dem Überlebenden Enrico Pieri

Der die Ermittlungen über zehn Jahre leitende Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler wurde mittlerweile in den Ruhestand versetzt. Seiner Einstellungsverfügung vom Oktober 2012 und der Überprüfung durch die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart sind die Karlsruher Richter nicht gefolgt. In Ihrer Entscheidungsbegründung sehen sie einen »ausreichenden Tatverdacht«. Mehr noch: Sie halten eine Verurteilung des noch einzig lebenden und verhandlungsfähigen Täters für wahrscheinlich. Der Karlsruher Richterspruch mahnt eine baldige Anklage gegen den beschuldigten SS-Untersturmführer und Kompaniechef Gerhard Sommer (93) an.

Diese sprichwörtlich schallende Ohrfeige trifft nicht nur die Ermittler der Staatsanwaltschaften in Stuttgart. Das Karlsruher Urteilt schallt weit in die Politik hinein. Selbst Bundespräsident Joachim Gauck schämte sich im März 2013 nicht, am Ort des Massakers im toskanischen Bergdorf zu erklären, dass es keine »rechtsstaatlichen Mittel« gäbe, um Gerechtigkeit herzustellen. Diese wurden in Italien längst gefunden.

Nun muss die Staatsanwaltschaft Stuttgart die Ermittlung an die Kolleginnen und Kollegen in Hamburg abgeben. Dort lebt der in Italien durch drei Instanzen verurteilte Kriegsverbrecher Sommer unbehelligt. Die Bundesrepublik Deutschland verweigert die Auslieferung der seit 2008 mit internationalem Haftbefehl gesuchten zehn Mörder. Sie wurden in Italien wegen der Beteiligung am Massakers im toskanischen Bergdorf Sant`Anna di Stazzema durch alle Instanzen rechtskräftig verurteilt. Lediglich vier von ihnen sind heute noch am Leben.

Die Klageerzwingung wurde von der Hamburger Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, die den Überlebenden Enrico Pieri vertritt, erwirkt. Die Rechtsanwältin erklärte auf einer Podiumsdiskussion am 10. August 2014 im Museum von Sant`Anna, dass ihr eine rasche Bearbeitung von der Hamburger Staatsanwaltschaft zugesagt wurde. Obwohl alle Fakten eindeutig für eine Anklage sprechen würden, habe sie selbst an eine Wende im Verfahren nicht mehr geglaubt.

Das Karlsruher Urteil stieß bei der Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag des Massakers am 12. August 2014 in Sant`Anna di Stazzema auf große Beachtung und Zustimmung. Die Opfer des Massakers hoffen nun wieder auf Gerechtigkeit auch in Deutschland. Es geht ihnen um die Anerkennung der Schuld, nicht darum »alte Männer ins Gefängnis zu bringen«, so der Überlebende Enio Mancini.

Des Bürgermeister von Stazzema, Maurizio Verona, erinnerte in seiner Rede auf der Gedenkveranstaltung daran, dass der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck bei seinem Besuch darauf hingewiesen habe, wie wichtig es sei, den Opfern Namen zu geben. In Richtung Gaucks sagte er: »Aber auch die Täter haben Namen«.

Trotz der Entscheidung der Karlsruher Richter könnte die offensichtliche Strategie einer »biologischen Lösung« des Stuttgarter Oberstaatsanwaltes Häußler noch aufgehen: Die Verhandlungsunfähigkeit oder das Ableben des 93-jährigen beschuldigten Kompaniechefs in der 16. SS-Panzergrenadierdivision Gerhard Sommer kann jederzeit eintreffen. Der Überlebende Enio Mancini wünschte ihm auf der Podiumsdiskussion im Museum von Sant`Anna jedenfalls »ein langes Leben«.