»Symphonia Rromani«

geschrieben von Renate Hennecke

11. November 2014

Wie die Geschichte des Hugo Höllenreiner vertont wurde

 

Hugo Höllenreiner – wer einmal seine Geschichte gehört hat, wird es nie vergessen. Es ist die Geschichte eines Sinto-Jungen aus München, der als Neunjähriger mit seiner Familie nach Auschwitz deportiert wurde, dort dem KZ-Arzt Josef Mengele in die Hände fiel, Unvorstellbares, Unsagbares durchlebte, überlebte. Auf seine Frage nach dem Warum – »wir haben doch nichts getan!« – antwortete der Vater: »Weil wir Sinti sind.« So einfach, so außerhalb menschlicher Ordnung war das.

Foto fu¦êr Seite 28

Nach einer Odyssee durch mehrere Lager nach München zurückgekehrt, erfährt Hugo, jetzt zwölf Jahre alt, dass Sinti auch weiterhin aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Er schafft es trotz allem, eine Familie zu gründen, zu leben, freundlich zu sein. Nach Jahrzehnten wird er gefragt und beginnt zu erzählen. Die Erinnerung schmerzt noch immer fast unerträglich, aber Hugo redet nun davon. Vor Schulklassen, bei Veranstaltungen und Gedenkfeiern – ohne Hass, ohne Anklage, nur »damit so etwas nie wieder passiert«. 2008 spricht er beim Gedenken an den Jahrestag der Liquidierung des so genannten Zigeunerlagers in Auschwitz-Birkenau. Sechsunddreißig Mitglieder seiner Familie wurden dort ermordet.

Unter den Teilnehmern an der Gedenkfeier sind Iovanca und Iosif Gaspar, Roma aus Rumänien, die in Wien leben. Sie sind 1996 dorthin gezogen, um ihrem Sohn Adrian, der schon als kleines Kind eine ungewöhnliche musikalische Begabung zeigte, eine optimale Ausbildung zu ermöglichen. Jetzt, 2008, ist Adrian 21 Jahre alt und bereits ein international bekannter und vielfach ausgezeichneter Pianist und Komponist.

Über die Verbrechen der Nazis an den »Zigeunern« hat Adrian in der Schule gehört, aber es ist ihm Schulwissen geblieben. Die Berichte der Eltern über ihre Begegnung mit Hugo Höllenreiner sind etwas Reales, sie wecken Gefühle, die er in seiner Sprache ausdrücken möchte: der Musik.

Zwei Jahre zuvor, noch als Schüler des Wiener Musikgymnasiums, hat er bei einer Aufführung des Oratoriums »Belshazzar’s Feast« des britischen Komponisten William Walton im Chor mitgesungen. Dem Werk liegt die biblische Geschichte der Unterdrückung der Juden im Exil und ihrer Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft zugrunde. So ein großes Werk müsste es sein.

Im November 2008 besucht Adrian Gaspar Hugo Höllenreiner in dessen heutigem Heimatort Ingolstadt. Später reisen sie gemeinsam nach Auschwitz, Hugo zeigt Adrian, wo sich »das alles« abspielte. Am 29. September 2010 wird im Kulturzentrum von Eisenstadt im österreichischen Burgenland die »Symphonia Rromani – Bari Duk/Großer Schmerz« uraufgeführt.

Iovanca Gaspar, Adrians Mutter, ist seit 2005 beim Wiener Magistrat im Bereich »Integration und Diversität« für Roma und Sinti zuständig. Als erste Romni hat sie 2009 an der Wiener Universität ihr Magisterexamen in Soziologie abgelegt. Ihre Magisterarbeit heißt: »Der Schlüssel zur Integration – Roma des 21. Jahrhunderts in Wien«; man kann sie im Internet abrufen. Integration heißt für sie: Chancen zu geben, zu bekommen und zu nutzen. Sie selbst hat entmutigende Zurücksetzung schon in der Schule erfahren. Aber sie hat sich durchgebissen und hartnäckig dafür gesorgt, dass auch ihr Sohn seine Chance bekam.

Die Entstehung der »Symphonia Rromani« hat sie mit der Filmkamera begleitet. »Dui Rroma« (»Zwei Roma«) heißt der tief berührende Dokumentarfilm darüber. Im Zug nach Polen und in der Gedenkstätte von Auschwitz berichtet Hugo dem jungen Komponisten, was er dort erlebt und erlitten hat. Im Wechsel damit wird man Zeuge der Aufführung des daraus entstandenen Werkes, interpretiert von dem Sänger Theodore Cortesi, dem Orchester »Filarmonia Mihail Jora« und dem Chor »Corul Armonia«, alle aus Rumänien. Gesprochen und gesungen wird in Romanes, der Muttersprache der beiden Hauptprotagonisten. Bei den Untertiteln kann man zwischen fünf Sprachen wählen.

»Mir war klar,« sagt Adrian, »dass ich damit viele Menschen ansprechen und sie aufmerksam machen kann, was in der Geschichte der Sinti und Roma geschah.« Das ist die eine Seite. Die andere nennt Iovanca: »Wenn man heute Roma sagt, denkt jeder an arm und dreckig. Ich wollte zeigen, was für eine reiche Kultur und was für Menschen wir haben, die man nicht mehr vergisst.«