Das Unrecht lebt fort

geschrieben von Cornelia Kerth

13. November 2014

Cornelia Kerth am Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas

 

Als das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas vor nun fast zwei Jahren eingeweiht wurde, dankte die Bundeskanzlerin Romani Rose für seinen 20 Jahre währenden Kampf um dieses Mahnmal. Das war schon eine besondere Qualität, die langjährige Verweigerung und den hinhaltenden Widerstand mehrerer Bundesregierungen schön zu reden.

In den ersten Jahren wurde darüber diskutiert, dass es keine verlässliche Zahl für die Opfer dieses Völkermords gäbe. Gewissermaßen wurden so die Überlebenden und Nachkommen dafür verantwortlich gemacht, dass der Holocaust an den Sinti und Roma bis heute nur mangelhaft erforscht wurde. Die letzten fünf Jahre wurde eine Debatte darum geführt, ob nicht doch der Begriff »Zigeuner« auf den Tafeln des Mahnmals verwendet werden sollte. In diesem Sinne stellt das Mahnmal auf keinen Fall einen Endpunkt dar, sondern muss als Bezugspunkt für die weitere Auseinandersetzung mit dem allgegenwärtigen Antiziganismus begriffen werden.

Brunnenmitte mit Stein und frischer Blume, das Dreieck soll an den KZ-Winkel erinnern. Foto: Asio otus

Brunnenmitte mit Stein und frischer Blume, das Dreieck soll an den KZ-Winkel erinnern. Foto: Asio otus

An dem Tag, an dem das Denkmal eingeweiht wurde, hatte dort eine Gruppe junger Sinti und Roma Jutetaschen umgehängt, auf denen geschrieben stand: »67 Jahre zu spät«. Das waren 67 Jahre, in denen die Überlebenden von Deportation und Völkermord erleben mussten, dass sie in der postfaschistischen Gesellschaft kein Mitleid zu erwarten hatten, keine Reue, keine Scham. Niemand hat sie je um Verzeihung gebeten.

An den Verhältnissen, die die Deportation möglich gemacht hatten, hatte sich nichts geändert: Die 1899 in München gegründete »Zigeunerzentrale«, die 1939 nach Berlin verlegt und dort dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) eingegliedert worden war, wurde 1946 nach der Zerschlagung der faschistischen Institution wieder als »Zigeunerstelle« nach München zurück verlagert. Bis 1970 wurden dort alle Sinti und Roma kriminaltechnisch erfasst. Bereits 1948 wurde in Baden-Württemberg wieder ein »Leitfaden zur Bekämpfung des Zigeuner-Unwesens« erlassen.

Wer heute in Entschädigungsakten von Sinti und Roma recherchiert und nicht völlig verroht ist, dem treten Tränen der Trauer und der Scham in die Augen. Was Gutachter, Ämter und Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland den Überlebenden entgegenhielten, macht fassungslos. Das geht weit über die Leugnung, Verdrängung und Rechtfertigung hinaus, die die Verfolgten des Naziregimes ja auch aus allen anderen Zusammenhängen kennen und ist der personellen Kontinuität der dort Tätigen geschuldet: Wie der Leiter der »Rassehygienischen Forschungsstelle«, Robert Ritter, wurden viele ehemalige Mitarbeiter des RSHA ebenso wie diejenigen der Münchner »Zigeunerstelle« als »Experten« für die »Wiedergutmachungs«-Anträge von Sinti und Roma tätig.

Der über Jahrhunderte entwickelte und tradierte Antiziganismus, der den Sinti und Roma an allen Ecken entgegenschlägt, ist heute nicht weniger grausam als in den 1920er oder 1950er Jahren. Statt ihm entgegenzutreten, statt Menschen, deren unvorstellbarem Leid hier ein Denkmal gesetzt wurde, Schutz zu gewähren, statt die Verantwortung wahrzunehmen, von der Frau Merkel bei seiner Einweihung sprach, schüren deutsche Politiker das Ressentiment des Stammtischs und – auch das muss gesagt werden: der Salons – in Worten und Taten.

An dem Tag, an dem das Mahnmal eingeweiht wurde und die Bundeskanzlerin von Verantwortung sprach, sprach der Innenminister Friedrich in die Mikrophone der Bundespressekonferenz, dass Deutschland vor der Zuwanderung von »Armutsflüchtlingen« in seine Sozialsysteme geschützt werden müsse. Er wolle dafür Sorge tragen, dass die EU die Freizügigkeit für Menschen aus Bulgarien und Rumänien wieder aufhebe. Man muss nicht »Roma« sagen, damit alle wissen, dass Roma gemeint sind, vor denen der deutsche Sozialstaat geschützt werden müsse.

Die Aufnahme Serbiens, Bosniens und Mazedoniens in die Liste »sicherer Herkunftsländer« erlaubt nun ihre Abschiebung ohne Prüfung ihres Falls – trotz bekannter Diskriminierung, Ausgrenzung und ständiger Bedrohung. Das ist ein unerhörter Skandal! Verantwortung wahrzunehmen, hieße im Fall der Flüchtlinge, sie so aufzunehmen, wie man in den 1990er Jahren jüdische Nachkommen der Holocaust-Opfer aus der zerfallenen Sowjetunion aufgenommen hat. Dafür werden wir uns weiter einsetzen. Wir werden uns auch weiter dafür einsetzen, dass endlich Schluss gemacht wird mit der Diskriminierung und Stigmatisierung der Sinti und Roma in Deutschland. Wir unterstützen Initiativen zur Anerkennung ihrer Kultur, ihrer Sprache und ihrer Forderung nach gleichberechtigter Teilhabe an dieser Gesellschaft, die eben auch ihre Gesellschaft ist. Und wir unterstützen die Initiativen, die darauf zielen, dass Volksverhetzung auch Volksverhetzung genannt wird, dass sie unterbunden und die Partei, von der sie ausgeht, endlich verboten wird!