Kinderweihnacht in Ravensbrück

geschrieben von Regina Girod

4. Januar 2015

Erinnerung an eine märchenhafte Weihnachtsfeier vor 70 Jahren

Vor Jahren hat Lisl Jäger, die nach drei Jahren Zuchthaushaft im September 1944 20-jährig nach Ravensbrück verschleppt wurde, einmal bei einem Zeitzeugengespräch zu Schülern gesagt: »Die SS hatte die Macht, sie konnte alles mit uns machen. Aber menschlich waren wir ihnen überlegen.« Einen besseren Beweis für ihre Worte, als die unglaubliche Geschichte der Weihnachtsfeier, die die Häftlingsfrauen 1944 für die Kinder im Lager organisierten, kann es nicht geben.

Tandera-Theater

Tandera-Theater

Viele Überlieferungen existieren zu diesem Ereignis. So schrieb die tschechische Häftlingsfrau Vera Hozákova: »Der starre Mechanismus des Lagerlebens setzt aus, und langsam schleicht sich durch den Stacheldraht die Vision von Freiheit ein. Dadurch erwachen in unseren Herzen jäh die Erinnerungen an die schönsten Feiertage des Jahres, welche wir zu Hause erlebt hatten – an Liebe und Freude, die du gabst und erfuhrst. Bald sind Weihnachten, und im Lager sind an die 400 Kinder – von denen einige nichts anderes kennengelernt haben als Gefangenschaft und Lager. Kinder, die nicht wissen, was Familie ist – sie kennen die Worte Papa, Oma nicht – sie kennen nur die Mama, die eigene oder die ›Lagermutter‹, Die Mama, die verzweifelt um ihr Leben kämpft – oft ein vergeblicher Kampf. Sie kennen nicht das Gefühl des Sattseins, der sicheren Wärme – wissen nicht, was ein Ball, eine Puppe ist. Die Worte Stadt, Brücke, Fluß, Schönheit sagen ihnen nichts. Sie kennen nur die Mama, sie ist der einzige warme Platz, die einzige Zuflucht im Leben hier – in diesem Nichtleben.« Für diese Kinder bastelten die Frauen heimlich Geschenke, sparten etwas von ihren kargen Rationen ab, dachten sich ein Kaspertheaterstück aus. Ilse Hunger schrieb in ihren Erinnerungen: »Wir lebten neu auf, das ganze Lager lebte neu auf, schöpfte aus diesem Tun neue Hoffnung, vereint in dieser Kinderhilfsaktion. Wir sammelten Esswaren, Leckereien aus Paketen, Äpfel, Gebäck, Brot, Marmelade, viele gaben, nein alle gaben. Wir erreichten von der Lagerführung die Erlaubnis für das Kaspertheater, aber man verbot uns die Verteilung der Geschenke, nachdem man gesehen, welch reizende Sachen gearbeitet worden waren. Aber wir hatten ja fast alles gut versteckt, und heimlich haben wir nach dem Weihnachtsfest diese Sachen auf den Blocks verteilt.«

Lisl Jäger.  Fotos: Jutta Harnisch

Lisl Jäger.
Fotos: Jutta Harnisch

Wie bedrückend ist der Gedanke, dass trotz der nahenden Befreiung nur wenige Kinder das Lager überlebten. Ab Januar 1945 wurden sie von der SS in der Gaskammer von Ravensbrück ermordet oder auf Transport nach Bergen-Belsen geschickt, wo in den letzten Kriegswochen noch tausende Häftlinge umkamen. Am 13. Dezember gedachte die Berliner VVN-BdA gemeinsam mit vielen Unterstützern der Kinderweihnacht von Ravensbrück. Das Plakat der Veranstaltung zierte eine Zeichnung der österreichischen Romni Ceija Stojka, die als elfjähriges Mädchen an der Feier teilnahm und als eine der wenigen ihrer großen Familie 1945 die Deportation nach Bergen-Belsen überlebte.

Zeichnung von Ceija Stojka

Zeichnung von Ceija Stojka

Es war eine berührende Veranstaltung, eingeleitet von dem Theaterstück »1944 – es war einmal ein Drache« des Tandera-Theaters aus Mecklenburg-Vorpommern, in dem zwei Schauspielerinnen und eine Puppenspielerin mit einfachen Handpuppen die Geschichte der Kinderweihnacht ins Heute holten. Anne Hunger, Enkelin der deutschen Häftlingsfrau Ilse Hunger las aus den Erinnerungen ihrer Großmutter, Bärbel Schindler-Saefkow, deren Mutter Änne Ravensbrückerin war, sprach über die Situation im Lager zur Jahreswende 1944/45. Und die 90jährige Lisl Jäger erinnerte sich daran, wie sie einen vierjährigen Jungen zur Weihnachtsfeier zum Block 22 brachte. Welch ein Glück für uns, diese großartige Frau noch immer unter uns zu haben.