Nackt unter Wölfen II

geschrieben von Hans Coppi

20. April 2015

Ein bis zum Schluss spannender Film

 

Die erneute Verfilmung von Bruno Apitz´ Bestseller – diesmal als Fernsehproduktion – begleiteten interessierte wie auch ablehnende Erwartungen. Einige fanden, dass es endlich Zeit sei, dass sich das öffentlich rechtliche Fernsehen diesem bewegenden Thema annimmt. Andere äußerten sich skeptisch. Was würde wohl von der Selbstbehauptung der Kommunisten, ihrem Widerstand im Lager und der Selbstbefreiung übrig bleiben?

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Die filmische Inszenierung beruht auf dem heutigen historischen Wissen, und hat fachwissenschaftliche Beratung ebenso einbezogen wie das mündliche Zeugnis von Überlebenden des KZ Buchenwald. Ein wichtiger Ausgangspunkt war die Wieder- und Neuentdeckung des Romans »Nackt unter Wölfen«. Der Aufbau Verlag Berlin hatte 2012 eine erweiterte Neuausgabe mit einem sorgfältig recherchierten und erhellenden Nachwort von Susanne Hantke zu historischen und biografischen Hintergründen des Schreib- und Entstehungsprozesses veröffentlicht.

Die Neuverfilmung hat eine eigenständige, neu erfundene fiktive Handlung, ist jedoch angelehnt »an Motiven des Romans«. In das Zentrum gerückt sind Gewissensentscheidungen der Häftlinge in Extremsituationen, erzählt wird von ihrem Ringen um Würde inmitten von Gewalt und der Ungewissheit, ob sie die Befreiung, die Freiheit erleben. Jeder Tag zählt in den letzten zwei Wochen des Lagers. Alles ist möglich, Überleben oder Tod. Die SS und die Häftlinge bereiten sich auf das Ende des Lagers vor. Dies ist der Hintergrund. Im Mittelpunkt des bewegenden Fernsehfilmes steht – wie in Frank Beyers unvergessenen DEFA-Film – die Rettung eines Kindes. Sie steht wie in Brechts Kaukasischem Kreidekreis im Widerstreit zu den eigenen Interessen der Protagonisten. Am 9. November 1954 erlebte das Brecht-Stück seine deutsche Premiere am Berliner Ensemble. Knapp drei Wochen später reichte Bruno Apitz bei der DEFA auf vier Seiten ein erstes Exposé über das Kind in Buchenwald ein. Trotz der Absage begann er im Eigenauftrag an dem Roman zu arbeiten. Bestärkt und begleitet durch Lektoren des Mitteldeutschen Verlages wurde »Nackt unter Wölfen« – zur Überraschung aller Beteiligten – ein Welterfolg.

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Drehbuchautor Stefan Kolditz bleibt am Kern des Romans: Häftlinge, überwiegend Kommunisten, verstecken unter Lebensgefahr ein dreijähriges Kind im KZ Buchenwald. Diese menschliche Entscheidung gefährdet die Vorbereitung des geplanten Aufstandes seitens des Internationalen Lagerkomitees. Inmitten von Chaos und Gewalt, ausgeliefert der Unberechenbarkeit und dem Sadismus der SS, zeigt der berührende Film von Philip Kadelbach in erschütternden Bildern und Dialogen die entstehenden Konflikte in ihren Konsequenzen, für Zuschauer und Schauspieler bis an die Schmerzgrenze. Was passiert, wenn die SS, die bereits etwas ahnt, davon erfährt, dass hinter der Rettungsaktion Kommunisten stehen, die einen Aufstand vorbereiten? Kurz vor Toresschluss nach jahrelangen Torturen noch das eigene Leben riskieren, für ein kleines Kind? Halten alle Genossen durch? Ein spannendes Szenarium, geht es doch bei allen Entscheidungen um das Überleben aller. An der Haltung zu dem Kind offenbaren die Häftlinge bei aller Unterschiedlichkeit ihre moralische Größe oder erleben ihr Scheitern.

Der Film kommt der Realität, dem Leben und Sterben im Lager näher. Nicht nur durch Folterszenen sondern auch durch die Einbeziehung des »Kleinen Lagers«. Im dem zeitweiligen Rückzugsort für den Jungen wird der Zuschauer mit den unvorstellbaren Zuständen, dem ständigen Hunger, dem Hindämmern schon vom Tode gezeichneter Menschen konfrontiert.

Auch wenn der Film dem Zuschauer zu einer differenzierten Sicht auf das Konzentrationslager verhilft, bleibt das politische Selbstverständnis der Protagonisten, das sich in genutzten Handlungsspielräumen äußert, eher im Vagen. Es ist jedoch ein bis zum Schluss spannender Film. Zuspitzung von Dauer baut sich auf, als das Kind von einem polnischen Häftling im Koffer ins KZ geschmuggelt wird. Entlang der Gratwanderung zwischen Vernichtung und Überleben bleibt das zu rettende Kind das Zeichen der Hoffnung auf eine Welt des Friedens und der Freiheit.

In der anschließenden Dokumentation am Abend des 1. April wurde die eher anmaßende Fragestellung »Beschützer der Schwachen oder Handlanger der SS?« unterschiedlich beantwortet. Während Volkhard Knigge, der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, die Rettung vieler Häftlinge und auch der über 900 Kinder durch kommunistischen Häftlinge besonders in der brisanten Endphase des Lagers und auch nach der Befreiung würdigte, bediente Frau Hertewig das Zerrbild der »Roten Kapos« aus den 1990er Jahren.

Die in ihren Rollen überzeugenden überwiegend jungen Schauspieler erklärten, dass die Arbeit an dem Film eine für sie eine wichtige Erfahrung gewesen sei. Das, was sie dargestellt haben, hat stattgefunden und darf nicht dem Vergessen anheim fallen. Der Film erreichte über 5,45 Millionen Zuschauer und war mit 13 Prozent bei jungen Leuten richtig erfolgreich, verkündete die ARD.