Widerstand und Widersprüche

geschrieben von Hans Rentmeister

20. April 2015

Ein Roman über eine antifaschistischen Familie

 

Zögernd forschen und berichten heute Angehörige der zweiten Generation über das Leben, den Kampf und die Leiden ihrer Familienangehörigen während des Faschismus. Die Autorin und ihr Ehemann gehören zu dieser zweiten Generation. Christel Weiß versucht, einseitigen Betrachtungen auf anspruchsvolle Weise zu widersprechen. Anhand der eigenen Familiengeschichte schildert sie in ihrem Roman die Zeit vom Beginn des vorigen Jahrhunderts bis 1945. Basis der Handlung sind real existierende Personen wie Fritz und Lea Große, Albert Hähnel, Rudolf Harlaß, Edith und Kurt Kretzschmar, Max Müller, Lilli und Jakob Segal, Curt Wach. Diese realen Protagonisten werden mit fiktiven Personen und Handlungen verknüpft. So kann die Form einer strengen Dokumentation gesprengt und eine spannende Handlung entwickelt werden.

Da war nicht nur einer… eine proletarische Familien-Saga Roman von Christel Weiß, 2015, BS-Verlag-Rostock, ISBN 978-3-86785-321-7, Preis 19,90€

Da war nicht nur einer… eine proletarische Familien-Saga
Roman von Christel Weiß, 2015,
BS-Verlag-Rostock, ISBN 978-3-86785-321-7, Preis 19,90€

Komplexe historische und politische Abläufe auf der Basis gründlich recherchierter Fakten werden bildhaft, ohne die üblichen Standardbegriffe in die Handlung eingefügt.

Erlebbar wird, wie sich die Masse des deutschen Volkes in das faschistische Regime integrierte und es in nicht unerheblichem Maße aktiv trug. Bohrend wiederholen sich im Roman die Fragen: Wie konnte ein Volk, unabhängig von Herkunft und Bildungsgrad, einem solchen menschenverachtendem Regime folgen? Warum zeigten die Aufklärungsversuche der Antifaschisten so wenig Erfolg? Diese Fragen sind nicht nur historische Fragen. Es sind Fragen der jüngeren Geschichte und Gegenwart.

Der Roman führt uns in eine Proletarierfamilie aus dem Erzgebirge, die später vor allem in Chemnitz gewirkt hat. Ein paralleler Handlungsort ist Berlin in den 30er Jahren bis zur Befreiung 1945. Plastisch wird das Leben und die Armut der ›einfachen‹ Menschen im Erzgebirgischen und Sächsischen dargestellt. So gut, dass es nicht nur Lehrenden sondern auch Lokalhistorikern als Bild dienen könnte. Auf diese Weise werden Wurzeln der Klassenkämpfe in dieser Zeit sichtbar. Aus dem Kampf um ein bisschen mehr sozialer Gerechtigkeit entwickelte sich das politische Engagement der Romanfiguren, das bei jenen mit stabilen moralischen Werten und gesundem Menschenverstand zwangsläufig in ein Engagement gegen die Nazis mündete.

Der Kampf der aktiven Nazigegner im Roman begann in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts und reicht bis zur Befreiung 1945. Es sind Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, atheistische Juden, Christen usw. Es gibt keine Fokussierung auf eine bestimmte Partei oder Organisation. Wenn auch zahlenmäßig klein, so doch breit im sozialen Spektrum wäre das Handeln dieser Nazigegner unter zivilisatorischen Umständen nicht spektakulär. In jener Zeit aber war ein solcher Widerstand nicht weniger lebensgefährlich als etwa Attentatsversuche. Wie das Buch zeigt, führte er zu schwersten persönlichen Konsequenzen auch für die Familie, bis hin zu den minderjährigen Kindern. Der Roman schildert anschaulich die Illegale Arbeit aber auch Denunziation, KZ und die Repressalien der Nazis, bis hin zum Todesurteil für mehrere Familienangehörige. Familiärer Zusammenhalt und die Solidarität Außenstehender lässt die Familie die schweren Eingriffe in ihr Leben überstehen.

Ein Großteil der Opfer des Faschismus ist nach der Befreiung zur Tagesordnung, d.h. zum Ringen um das Überleben und für eine bessere Zukunft, übergegangen. Erinnerungen aufzuschreiben, war nicht ihre Sache. Aber ihre Erfahrungen darüber, wie es zum Faschismus kam, wie es unter ihm war und wie sich einige gewehrt haben, sind brandaktuell. Faschistischer Ungeist beeinflusst immer noch bzw. erneut deutsches und europäisches Leben. Geschichte wird in der BRD verfälscht, in dem man die Leiden auf einige wenige, dem Zeitgeist genehme Opfergruppen und Personen reduziert, Opferhierarchien schafft und einige Gruppen marginalisiert. So entstehen neue Geschichtslügen.

Der Roman versteht sich daher nicht nur als Geschichts- und Geschichtenbuch, als Denkmal für Menschen, die es verdient haben. Man erkennt das an den eingeflochtenen Passagen, die einen Bezug zu heutigen Ereignissen herstellen. Besonders deutlich wird das im Anhang, wo u.a. aufgelistet wird, welche Namen von Schulen, Straßen, Plätzen, Betrieben usw., die zu DDR-Zeiten nach Antifaschisten benannt wurden, die im Buch eine Rolle spielen, nach 1989 entfernt wurden.

Das Buch »Da war nicht nur einer…« ist jedem Leser, ob jung oder alt, zu empfehlen. Unaufdringlich fordert es auf, gegen jede faschistische Tendenz aktiv zu werden.