Feldjäger fällen Präsident
1. März 2016
Prozess wegen Kunstaktion bei Bundeswehr-Beförderungsappell
Es handelte sich um einen »Beförderungsappell«. Knapp 450 Offiziersanwärter der Bundeswehr waren am 27. Juni vergangenen Jahres vor dem Schloss Nymphenburg in München angetreten, um ihren Aufstieg mit militärischem Zeremoniell und klingendem Spiel bestätigt zu bekommen. Öffentlichkeitswirksamkeit war durchaus beabsichtigt, davon zeugte schon die Wahl des historisch-pittoresken Rahmens für den Appell.
»Knapp eine Woche vor dem Ereignis waren die Münchner – also auch ich – zu einer öffentlichen Feier mit Marschmusik (‚Des Großen Kurfürsten Reitermarsch‘) eingeladen«, berichtet Günter Wangerin, 70, Arzt im Ruhestand, und seit langem auch kritischer Maskenbildner, Grafiker, Maler und Aktionskünstler über das Ereignis. Allerdings habe, so die Süddeutsche Zeitung in ihrem Bericht über den derzeit gegen den Künstler wegen »Hausfriedensbruchs« in München stattfindenden Prozess, »die Bundeswehr-Universität zunächst die Bevölkerung zum Appell groß eingeladen und dann wieder ausgeladen (…), als sich Demonstranten ansagten. Es kamen aber trotzdem etliche Neugierige und nicht nur Angehörige der Soldaten.«
Günter Wangerin dazu in seiner »in großen Teilen politischen Erklärung« (SZ) vor Gericht: »Ich hatte die kurzfristige Absage nicht mitbekommen und mich ungehindert mit einem kleinen Podest und einer Plastiktüte, in der sich eine Gauckmaske und ein großes eisernes Kreuz befanden, an dem Platz eingefunden, an dem die Eltern der Jungoffiziere standen. Ich plante eine Kunstaktion.«
Dazu bestieg er, in feines Tuch gekleidet, die Maske mit dem Bundespräsidenten-Antlitz vor dem Gesicht und die Brust dekoriert mit dem »Eisernen Kreuz«, die mitgebrachte Trittleiter, salutierte und rief laut »Habt acht!«. Zweimal. Daraufhin rissen Bundeswehr-Feldjäger das Präsidenten-Double mehr als unsanft vom Podest, fixierten den Liegenden, so ihre Aussage, mit einem »kontrollierten Nasenhebel« und legten dem Überwältigten Handschellen an.
Niemand habe ihn, so Günter Wangerin, vor diesem Feldjäger-Einsatz aufgefordert, das Gelände zu verlassen. »Ich wehrte mich nicht, weil ich wusste, welche juristischen Folgen das haben würde, protestierte aber laut und deutlich gegen dieses Vorgehen. Dazwischen forderte ich die beiden auf, mir die Handschellen abzunehmen, sie sähen doch, dass ich mich nicht wehrte. Ohne Erfolg. Sie schienen stumm. Sie zerrten mich dann hoch und rissen mich im Laufschritt mit sich fort zur Polizei. Irgendwo auf dem Rasen nahmen sie mir dann die Handschellen ab.«
Vor Gericht stand nun die Bundeswehr-Aussage dagegen, dass es sehr wohl vorher Aufforderungen an den Künstler gegeben hätte, vom Podest zu steigen. Erst dann habe man, so ein Feldjäger, »den Herrn Doktor zu Boden geführt«. An solche Vorwarnungen kann sich jedoch nicht nur der zu Boden Geführte nicht erinnern, sondern auch zwei zivile Zeugen nicht, die bei dem Ereignis anwesend waren. Die einander widersprechenden Aussagen haben vorerst zur Aussetzung des Verfahrens geführt. Es soll, so die SZ, »ein weiterer Soldat, der momentan in Afghanistan ist, gehört werden«.
Womit der Prozess sehr deutlich an die beabsichtigten aktuell-politischen Bezüge der jäh unterbrochenen Kunstaktion anknüpft. Am Rande sei vermerkt: Auch der Künstler hatte nach dem Vorfall Anzeige erstattet. Wegen »Körperverletzung«. Diese Anzeige wurde von der Staatsanwaltschaft abgewiesen. Der »Hausfriedensbruch«-Strafbefehl gegen ihn dagegen aufrecht erhalten. Zu diesem gehören auch die Vorwürfe von Klägerseite, Wangerin habe von seinem Sockel aus gerufen: »Für die Abschaffung der Bundeswehr!« Schwer vorstellbar: Da steht – wie ja auch die Fotos von der Aktion zeigen – einer, der den Bundespräsidenten darstellt, schwer ordensbehängt, salutierend – und der fordert dann die Abschaffung der Bundeswehr…Ein bisschen viel Verfremdung.
Weshalb dem Künstler vor Gericht hier an einer Richtigstellung gelegen war: »Bedenken Sie: meine Aktion war eine satirische. Als Gauck stand ich doch für die Bundeswehr da und nicht gegen sie! Ich rief ‚Habt Acht!‘, eine Aufforderung also, wachsam zu sein. Warum Gauckmaske? Weil Pastor Gauck der entschiedenste Befürworter von Bundeswehreinsätzen in aller Welt ist und keine Gelegenheit verstreichen lässt, für solche Einsätze zu werben. Die Auffassung, dass diese Einsätze verfassungswidrig sind, entstammt nicht meiner krankhaften Phantasie, sondern wird auch von bedeutenden Verfassungsrechtlern geteilt.«
Die Fortsetzung des Prozesses wird zeigen, ob es hier lediglich darum geht, ein Exempel zu statuieren gegen Menschen, die sich mit künstlerischen und anderen demokratischen Mitteln zunehmender Kriegs- und Militärverherrlichung entgegenstellen. Jedenfalls war die kritische Resonanz am und nach dem ersten Prozesstag, auch in nahezu allen Münchner Tageszeitungen, beeindruckend.