Auftrag Antifaschismus
4. März 2016
Vom Nachkriegs-Bündnis zum Zukunftsmodell
Seit Jahren ist es in den verschiedenen Spektren der antifaschistischen Bewegung unstrittig, dass Antifaschismus keine »Ein-Punkt-Bewegung« sein kann. Die traditionellen Verbände formulierten das mit den Worten »Antifaschismus ist Humanismus in Aktion« oder »Antifaschismus ist mehr als eine Gegenbewegung«. Vor fast zwanzig Jahren entstand die Losung »Zukunftsentwurf Antifaschismus«.
Damit ist klar, dass eine antifaschistische Organisation sich nicht auf die Bekämpfung von neofaschistischen und extrem rechten Aktivitäten und Strukturen beschränken darf.
Im Konzept des antifaschistisch-demokratischen Neuanfangs nach der Zerschlagung des deutschen Faschismus wurden politische Eckpunkte formuliert, die zu den Fundamenten einer antifaschistischen Gesellschaft gehören müssen. Dass dabei auch die ökonomischen Grundlagen einer Gesellschaft hinterfragt werden müssen, hat bereits 1939 Max Horkheimer prägnant formuliert: »Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.« Diese Aussage weitergedacht stellt die Frage, ob die Überwindung kapitalistischer Verhältnisse zu den Grundsätzen antifaschistischer Arbeit gehören müsse.
In der Studentenbewegung der 60er Jahre fand diese Aussage ihren verkürzten Widerhall in der Parole »Kapitalismus führt zum Faschismus – Kapitalismus muss weg!« In ähnliche Richtung zielen verschiedene autonome Gruppen, wie z.B. die ALB, in deren selbstkritischen Auflösungserklärung es u.a. hieß:
»Der Rassismus der Mitte, der europaweite Erfolg rechter und rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen und auch der Sozialchauvinismus in weiten Teilen der Bevölkerung bedürfen neuer Ansätze und Antworten durch die antifaschistische Bewegung. Das alte ›Antifa heißt Angriff‹ ist in diesem Zusammenhang eher als Stillstand und Phrasendrescherei zu werten. …
Es bietet sich für die radikale Linke die Möglichkeit, an entscheidenden Fragen der Zeit zu intervenieren und größere Zusammenhänge – beispielsweise zu imperialer Politik, zum Militarismus des Westens, zu Neokolonialismus, zu Sozialchauvinismus und kapitalistischer Ausbeutung – zu erklären. …
Gerade im Bereich der sozialen Kämpfe, dem zweiten für uns zentralen Arbeitsfeld, gibt es zurzeit gesellschaftliche Bruchstellen. Hier muss die radikale Linke versuchen zu intervenieren, eigene Positionen zu beziehen und Perspektiven aufzuzeigen.« (vergl. jW vom 10. September 2014)
All dies sind in der Tat Aktionsfelder einer radikal linken Organisation, einer Partei oder Kampforganisation. Und natürlich engagieren sich antifaschistische Organisationen nicht allein gegen Faschismus, Rassismus und Krieg, sondern auch gegen andere Formen von Repression und Demokratieabbau, gegen Sexismus, soziale Ungleichheit und Ausgrenzungen, weil solche Entwicklungen nicht mit einer humanen, sozialen und demokratischen Gesellschaft vereinbar sind.
Es kann m.E. jedoch nicht die Aufgabe einer antifaschistischen Organisation sein, solche gesellschaftlichen Konflikte als Ersatz für eine – vielleicht nicht vorhandene, oder in der gewünschten Ausprägung nicht erkennbare – politische Partei angehen zu wollen. Antifaschistische Organisationen haben sich in die zentralen gesellschaftlichen Konflikte einzumischen. Sie sollten insbesondere auch solidarisch bei sozialpolitischen Auseinandersetzungen, wie z.B. betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfen sein. Es wäre aber vermessen und dem Charakter der antifaschistischen Organisation abträglich, diese Auseinandersetzung im Sinne einer Partei zu führen.
Das wussten schon die Gründer der »Antifaschistischen Aktion« Anfang der 30er Jahre, als diese die der KPD nahestehende Massenorganisation bewusst nicht als Parteiorganisation anlegten, selbst wenn sie in ihrer politischen Rhetorik sich nur unwesentlich von Verlautbarungen der KPD unterschied.
Und die Gründungsgenerationen der VVN nach 1945 legten einen enormen Wert auf die Überparteilichkeit der Organisation, indem sie in die Leitungsgremien Vertreter aller antifaschistischen Parteien und gesellschaftlichen Organisationen aufnahmen. Denn die Ziele einer antifaschistischen Bewegung sind nur gemeinsam mit diesen Kräften zu erreichen, nicht an Stelle dieser Strukturen.
Historische Erfahrungen und antifaschistische Bündnispolitik
Ein Blick in die Geschichte der antifaschistischen Bewegung hilft bei der politischen Orientierung auch für heute. Dabei ist es jedoch wichtig, sich mit der ganzen Breite der Erfahrungen zu beschäftigen und nicht nur mit einem Ausschnitt, wie beispielsweise den Beschlüssen des Thälmannschen ZK, wie es in einigen Diskurszusammenhängen heute getan wird. Sicherlich findet man auch dort schon erste Ansätze zur Überwindung der verhängnisvollen »Sozialfaschismus«-These und Konzepte für eine breitere Bündnispolitik im Sinne der Arbeitereinheit. Aber wichtiger scheint mir in diesem Zusammenhang der VII. Weltkongress der KI mit seinen vielfältigen Debatten über den Faschismus an der Macht und die daraus folgenden Konsequenzen für die Zusammenarbeit verschiedener gesellschaftlichen Schichten zu sein. Georgi Dimitroff formulierte damals als Konsequenz des Faschismus an der Macht, der alle gesellschaftlichen Kräfte, die sich nicht seinem Diktat unterordnen, bedroht, die Priorität des Kampfes um eine »antifaschistische Volksfront«:
»Bei der Mobilisierung der werktätigen Massen zum Kampf gegen den Faschismus ist die Schaffung einer breiten antifaschistischen Volksfront auf der Grundlage der proletarischen Einheitsfront eine besonders wichtige Aufgabe. Der Erfolg des gesamten Kampfes des Proletariats ist eng verbunden mit der Herstellung des Kampfbündnisses des Proletariats mit der werktätigen Bauernschaft und der Hauptmasse des städtischen Kleinbürgertums, das die Mehrheit der Bevölkerung sogar in den industriell entwickelten Ländern bildet. …
Dimitroff betonte, auch gegenüber bürgerlichen Organisationen müsse die »Taktik unter allen Uniständen darauf gerichtet sein, die ihnen angehörenden Kleinbauern, Handwerker, Gewerbetreibende usw. in die antifaschistische Volksfront hineinzuziehen.«
Zum antifaschistischen Erfahrungsschatz gehören auch die Arbeit des Pariser Volksfrontkomitees, selbst wenn dieses Modell durch die ideologischen Konflikte der 30er Jahre negativ überlagert wurde, und der praktische bewaffnete Kampf zur Verteidigung der Spanischen Republik, das Handeln der Internationalen Brigaden gegen den faschistischen Putsch und dessen Unterstützung durch Mussolini-Italien und Hitler-Deutschland. Hier kämpften aus vielen Teilen der Welt vor allem Arbeiter verschiedener ideologischer Orientierung, linksbürgerliche Intellektuelle oder andere aufrechte Demokraten gegen den Vormarsch des Faschismus und für die Verteidigung von Freiheit, sozialer Gerechtigkeit und Demokratie – nicht zuerst für den Sozialismus.
Und diese Perspektive erweiterte sich noch im Zusammenhang mit dem faschistischen Expansionskrieg, der sich letztlich gegen die Sowjetunion – den »jüdischen Bolschewismus« – richtete, der aber in den ersten Etappen auch fast alle anderen europäischen Staaten erfasste. Und hier wurden Bündnispartner im antifaschistischen Kampf selbst jene Kräfte und Gruppen, die sich aus patriotischen Überzeugungen gegen die faschistische Okkupation und Unterdrückung wehrten.
Dass darunter viele waren, die einer linken politischen Überzeugung sehr fern standen, muss nicht ausgeführt werden. Auch sie waren Teil der antifaschistischen Bewegung, wenn sie bereit waren, im gemeinsamen Kampf gleichberechtigt aktiv mitzuwirken.
Ein kurzer Blick auf diese Breite der Anti-Hitler-Koalition, die weit mehr war als nur ein militärische Bündnis von Staaten unterschiedlicher politischer Orientierung mit dem gemeinsamen Ziel, der Niederwerfung der faschistischen Bedrohung, macht deutlich, dass antifaschistische Bündnisse eine deutlich größere Breite haben sollten, als allein eine radikal linke Orientierung.
Antifaschistische Organisation und Bewegung
Der entscheidende Punkt antifaschistischer Organisationen ist dabei das gemeinsame Handeln für die als vordringlich angesehenen politischen Zielsetzungen: die Verhinderung des Aufkommens bzw. des Vormarsches faschistischer Kräfte und die Verteidigung der Freiheiten sowie sozialen und demokratischen Errungenschaften des Volkes.
In diesem Sinne ist eine antifaschistische Organisation nicht der »Gralshüter« antifaschistischer Grundaussagen, sondern sie erweist ihre Existenzberechtigung insbesondere im politischen Handeln für die antifaschistischen Ideale. Das ist übrigens ein Anspruch, den auch viele junge Antifaschisten, die auf der Suche nach einem organisatorischen Zusammenhalt sind, von einer solchen Struktur erwarten. Es geht ihnen zumeist nicht um irgendwelche »Prinzipientreue« oder Klarheit der Analyse, sondern sie suchen eine Plattform des solidarischen gemeinsamen Handelns. Dass sich dieses Handelns nicht im theoretisch luftleeren Raum bewegt, versteht sich von selbst. Doch heute ist das Hauptinteresse von jüngeren Menschen nicht darauf gerichtet, sich in Theoriezirkeln mit dem Zustand der Welt zu beschäftigen, sondern im praktischen Handeln etwas zur Veränderung, zur Verbesserung dieser Welt beizutragen.
Antifaschistische Organisationen müssen dieses Handlungsangebot vorhalten, wobei darunter kein sinnentleerter Aktionismus – oder kein Hinterherhecheln hinter den verschiedenen Naziprovokationen – zu verstehen ist. Neofaschistischen Aufmärschen und anderen Provokationen der extremen Rechten ist natürlich praktisch entgegenzutreten, aber darin kann sich das Handeln einer antifaschistischen Organisation nicht erschöpfen.
Für diesen Kampf benötigt die antifaschistische Bewegung Mitstreiter. Dabei gibt es aus historischer Perspektive Verbände, die sich als »originäre« Bündnispartner der antifaschistischen Bewegung anbieten. Dazu gehören insbesondere die verschiedenen Organisationen der Arbeiterbewegung, die Gewerkschaften als größte Massenorganisation, aber auch die Parteien der Arbeiterbewegung, da sie als Organisation in ihrer Geschichte und heute die Antipoden jeglicher Rechtsentwicklung darstellen. Wenn wir gesellschaftlichen Einfluss für unser antifaschistisches Anliegen gewinnen wollen, müssen wir diese Organisationen in unsere Bündnisarbeit versuchen zu integrieren.
Natürlich können wir nicht übersehen, dass es innerhalb dieser Organisationen manchmal Widerstände gegen eine breite antifaschistische Bündnispolitik gibt. Aber zumeist besteht eine gemeinsame Basis, die engagierte Gewerkschaftskollegen auf den jeweiligen Gewerkschaftstagen mit einer konsequenten Beschlusslage geschaffen haben, sodass sich aktive Gewerkschafter in ihrem antifaschistischen Engagement darauf beziehen können. Man konnte in den vergangenen Jahren vielfältig erleben, wie sich engagierte Gewerkschaftskollegen als stabile Säule in der antifaschistischen Bündnisarbeit bewiesen haben.
Ein solches Bündnis muss aber – je nach politischem Anlass – auch weitere Schichten umfassen, seien es zivilgesellschaftliche Initiativen oder kirchliche Gruppierungen und Strukturen. Und eine solche Bündnispolitik muss nicht zuletzt auch die Betroffenen rassistischer oder faschistischer Gewalt und Ausgrenzung selber mobilisieren und integrieren. Denn auch breiteste antifaschistische Bündnisse können nicht stellvertretend für die Betroffenen deren Situation verändern.
Innerhalb solcher Bündnisse sollte es darum gehen, eine möglichst große Übereinstimmung in der politischen Orientierung und den möglichen Handlungsoptionen zu erzielen. Aber es ist nicht nur unrealistisch, sondern auch politisch schädlich, innerhalb eines Bündnisses ein zu hohes Maß an ideologischer Übereinstimmung durch Erklärungen oder politische Analysen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation zur Voraussetzung gemeinsamen Handelns zu machen.
Es entspricht dem Charakter von Bündnissen, dass nicht alle Partner über das gleiche Verständnis von politischer Zielrichtung oder von Radikalität des Handelns verfügen. Die Kunst der Bündnisarbeit ist es, eine möglichst breite Zusammenarbeit zu entwickeln, die allen Teilnehmenden ausreichenden Raum für eigenständiges Handeln im Sinne der gemeinsamen Zielsetzung gibt. Das bedeutet zum Beispiel, dass Blockadeaktionen gegen Naziaufmärsche oder andere direkte Aktionen durchaus legitime Mittel sind, selbst wenn nicht alle Kräfte im Bündnis sich dieser Aktion anschließen können. Keine legitimen Aktionsformen wären dagegen gezielte gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Antifaschistische Organisation als Bündnis in sich
Keine antifaschistische Organisation kann für sich einen »Monopolanspruch« erheben. Natürlich wird jede Organisation und Gruppe ihr spezifisches Profil hervorheben. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) ist dabei diejenige Organisation, die qua Geschichte und Verbandstradition originär mit den Überlebenden der faschistischen Konzentrationslager und den Frauen und Männern aus dem Widerstand verbunden ist. Die VVN wurde von diesen Antifaschisten vor annähernd 70 Jahren gegründet und deren früheren Mitglieder haben die Ideale dieser Organisation in all den vergangenen Jahrzehnten in der BRD gegen alle Formen der Restaurationspolitik und Verdrängung und Verleugnung der faschistischen Verbrechen und der Eingebundenheit der deutschen Mehrheitsgesellschaft in diese Verbrechen verteidigt. Diese Organisation hat es Anfang der 70er Jahre geschafft, sich für nachgeborene Generationen zu öffnen und damit diesem Politikfeld auch für Jüngere eine organisatorische Struktur gegeben.
Seit Ende der 70er Jahre entwickelten sich -parallel dazu verschiedene autonome Organisationskonzepte, die insbesondere junge Menschen, die sich dem Gedanken des Antifaschismus verbunden fühlten, zum politischen Handeln führten.
Antifaschismus entwickelte sich seit dieser Zeit zu einem eigenständigen Handlungsfeld innerhalb der gesellschaftlichen Auseinandersetzung in der BRD.
Die Tatsache, dass die VVN-BdA die vergangenen sieben Jahrzehnte – trotz aller politischen, materiellen und organisatorischen Rückschläge – einigermaßen erfolgreich überstanden hat und auch heute als handlungsfähige Struktur im Antifaschismus angesehen werden kann, hat auch etwas damit zu tun, dass sie verschiedene politische Fehler und Verengungen anderer antifaschistischen Strukturen nicht mitgemacht hat.
Die VVN-BdA hat sich – trotz klarer Programmatik und theoretischer Fundierung des eigenen Anspruchs – immer offen gezeigt, für verschiedene Zugänge zu antifaschistischer Arbeit.
In den 50er und 60er Jahren galt die VVN – in den Augen des Verfassungsschutzes – als kommunistische Ersatzorganisation, weil sie aus ihren Reihen kommunistische Widerstandskämpfer selbstverständlich nicht ausschloss. Aber die VVN war auch in der Lage, in ihrer Organisation und ihren Leitungsgremien nichtkommunistische Antifaschisten in gleichberechtigter und verantwortungsvoller Position zu integrieren.
Die Aussagen des VII. Weltkongresses der KI wurden in der VVN durchaus positiv rezipiert, aber sie wurden nicht zur »Eintrittskarte« für die Mitgliedschaft in der Organisation gemacht. Damit entwickelte sich die Organisation selber zu einem Bündnis unterschiedlicher politischer Zugänge zum Thema Antifaschismus, die alle gemeinsam von der Überzeugung getragen waren, dass das Vermächtnis der Häftlinge von Buchenwald und anderer Antifaschisten noch seiner politischen Umsetzung in unserer Gesellschaft bedarf.
Dass viele Mitglieder der Überzeugung waren, dass dies nur durch Überwindung der ökonomischen Strukturen kapitalistischer Ordnung möglich sein würde, war in der VVN völlig unstrittig. Auch die Tatsache, dass Expansionismus und imperiale Hegemonie die Ursache für Kriege darstellen, wird in der VVN-BdA mehrheitlich vertreten. Aber niemand war und ist verpflichtet, für ein sozialistisches Modell (welcher Art auch immer) einzutreten, wenn er innerhalb der VVN-BdA politisch aktiv werden will.
Eine der großen Leistungen der politischen Integration war die Zusammenführung mit den antifaschistischen Verbänden in den neuen Bundesländern. Hier waren und sind viele Antifaschisten engagiert, denen mit dem Ende der DDR der politische Bezugsrahmen und ihre antifaschistische Lebensleistung beim Aufbau einer solidarischen Gesellschaft abhandengekommen war, die sich nicht damit abfinden wollten und konnten, dass der antifaschistische Grundkonsens der Gesellschaft nun offener kapitalistischer Realität geopfert worden war.
VVN war und ist von ihrem Ansatz her eine Bündnisorganisation, in der verschiedene antifaschistischen Kräfte ihren Platz haben. Und zu diesen gehören nicht zuletzt aus ihrer Leistung im antifaschistischen Handeln begründet auch die Kommunisten. In dieser Organisation ist Platz für unterschiedliche politische Orientierungen, deren einigendes Band jedoch der »Schwur von Buchenwald« ist: Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln und Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit! Diese gemeinsame Überzeugung aller antifaschistisch-demokratischen Kräfte unmittelbar nach der Befreiung von Faschismus und Krieg ist Orientierung auch für heute geblieben.
Die VVN-BdA versteht sich deshalb als Bündnisorganisation, die auf einer gemeinsamen programmatischen Grundlage antifaschistische Politik macht. Diese Programmatik lässt jedoch genug Raum für unterschiedliche gesellschaftliche, politische und auch religiöse Orientierungen. Jeder, der versucht, diese Breite der Organisation durch Festlegungen einzuschränken, widerspricht im Kern der historischen Tradition der VVN und der Basis erfolgreicher antifaschistischer Arbeit.
Gibt es Essentials für eine antifaschistische Organisation?
Da Antifaschismus sehr unterschiedliche politische Zugänge hat, verbindet sich mit diesem Konzept kein geschlossenes Gesellschaftsmodell. Wenn man dennoch von einem Zukunftsmodell Antifaschismus spricht, dann sollte sich dieses an den gemeinsamen Überzeugungen der Nazigegner unterschiedlicher Couleur in der unmittelbaren Nachkriegszeit orientieren.
Wenn man als wesentliches Ziel formulierte, den Nazismus mit seinen Wurzeln zu vernichten, verband man damit gesellschaftspolitische Vorstellungen, wie sie z.B. in der Hessischen Landesverfassung von 1946 mit der Sozialisierung der Infrastruktur, der Schlüsselindustrien, der Banken und Versicherungen ihren Niederschlag fanden. Und wenn es im Ahlener Programm der CDU hieß, dass der Kapitalismus den Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden sei, wird sichtbar, wie weitgehend antikapitalistische Überzeugungen den antifaschistischen Konsens der Nachkriegszeit prägten. Dabei war die Ablehnung kapitalistischer Wirtschaftsstrukturen mit der Erkenntnis verbunden, dass unkontrollierte wirtschaftliche Macht unkontrollierte politische Macht bedeutet und dies in verhängnisvoller Weise zu Faschismus und Krieg, zu Zerstörung und Elend nicht nur im Deutschen Reich, sondern auch in allen von ihm angegriffenen Ländern geführt hat. Damit ist klar, dass antikapitalistische Überzeugungen originärer Bestandteil antifaschistischer Orientierung sind, ohne diese jedoch zur Voraussetzung für antifaschistisches Handeln zu machen.
Solche Grundprinzipien verbinden Antifaschisten heute mit dem Eintreten für unmittelbare Ziele: Sie setzen sich ein
– für die Erhaltung und die Erweiterung demokratischer Rechte und Freiheiten,
– für die Ausweitung der politischen und gesellschaftlichen Mitwirkungsmöglichkeiten,
– insbesondere bei zwischenstaatlichen Konflikten für friedliche Konfliktlösungen, die abgehen von militärischer Dominanz und Durchsetzung imperialer Interessen,
– für den Auf- und Ausbau einer solidarischen Gesellschaft, die keine rassistischen oder sozialen Ausgrenzungen zulässt und soziale Sicherungssysteme entwickelt, die allen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Dazu gehören das Recht auf Arbeit und Wohnung, die Verwirklichung umfassender sozialer Gerechtigkeit sowie des Rechts auf Asyl und die Hilfe für Flüchtlinge,
– für die Anerkennung der historischen Leistungen der Frauen und Männer aus dem antifaschistischen Widerstand, für ein angemessenes Gedenken der Opfer des Faschismus und damit für die Entwicklung eines antifaschistischen Geschichtsbildes.
Zentral ist dabei nicht allein die inhaltliche Anerkennung dieser gesellschaftlichen Perspektiven, sondern das aktive Handeln für diese Ziele.
Antifaschisten haben heute auch die Verantwortung, die Erfahrungen des antifaschistischen Kampfes zu bewahren und weiterzugeben. Die VVN-BdA formulierte dies 2012: »Auch wenn bald keine Angehörigen der Gründergeneration mehr in unseren Reihen stehen werden, bleibt die Weitergabe ihrer Erfahrungen, das Wachhalten der Erinnerung daran, dass antifaschistischer Widerstand möglich und notwendig war, unser spezifischer Beitrag zur politischen Kultur dieses Landes. Wir werden die moralische und menschliche Autorität unserer Gründerinnen und Gründer nicht ersetzen können. Doch wir können und wollen dazu beitragen, dass nachfolgenden Generationen die Wiederholung ihrer leidvollen Erfahrungen erspart bleibt.«
Ein solches historische Vermächtnis prägt – wenn auch in unterschiedlicher Intensität – ebenso autonome und andere antifaschistische Gruppierungen. Es gilt, im Sinne der historischen Erfahrungen einzutreten für eine soziale, demokratische, humane und friedliche Gesellschaft. »Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.«
So heißt es im Schwur von Buchenwald vom 19. April 1945.