SS-Gedenken in Riga

geschrieben von Markus Tervooren

8. Mai 2016

Antifaschistische Proteste »gefährden nationale Sicherheit und demokratische Ordnung«

 

In Lettland wird am »Tag der Legionäre« alljährlich mit bis zu 2.000 Teilnehmern zu Ehren der lettischen Waffen-SS-Veteranen demonstriert. Auf dem Marsch bezieht man sich aber auch auf die so genannten faschistischen »Donnerkreuzler«, die lettischen »Heimwehren« und die berüchtigte »Sicherheitstruppe« unter der Führung des Polizeichefs von Riga, Victors Arājs. Diese Organisationen sind für die eigenständige Ermordung von 50.000 lettischen Juden verantwortlich. Zwischenzeitlich war der 16. März sogar offizieller Feiertag. Die Demonstration dürfte zu den größten alljährlichen Manifestationen in Lettland gehören.

Schon 2014 hatte eine Delegation der VVN-BdA und der FIR zusammen mit dem Lettischen Antifaschistischen Komitee und Latvia without Nazism sowie Efraim Zuroff vom Simon-Wiesenthal Center in Jerusalem gegen diese ungeheuerliche »Ehrung« der zu nationalen Freiheitskämpfern verklärten Waffen-SS-ler protestiert. Und schon damals wurden die aus Deutschland, Ungarn und Israel angereisten Teilnehmerinnen an der antifaschistischen Kundgebung, die ordnungsgemäß angemeldet und genehmigt war, mehr als misstrauisch von den Behörden beäugt, der Bus aus Berlin angehalten und durchsucht und das Hotel überwacht. Dieses Jahr sollte es noch drastischer werden. Wenn in Riga Waffen-SS-Veteranen marschieren und sich Antifaschisten ankündigen vergisst das EU-Land offenbar das Prinzip der offenen Grenzen und der Meinungs-und Demonstrationsfreiheit,.

Fünf Delegationsteilnehmer der VVN-BdA, darunter auch ich, wurden am 15. März 2016 nach Verlassen des Flugzeugs von der lettischen Grenzpolizei festgesetzt und aufgefordert, Riga sofort wieder zu verlassen. Es läge dazu ein Aufenthaltsverbot vom 15. bis 17. März in Lettland und eine Personenliste des lettischen Innenministeriums vor. Die Festgesetzten konnten lediglich einen Blick auf ein lettischsprachiges Dokument erhaschen. Ihnen wurde bedeutet, wenn sie nicht »freiwillig« ausreisen würden, würden sie in ein Auffanglanger für illegale Migranten in Daugavpils gebracht und erst am 17. März wieder entlassen werden. Inzwischen hatte sich auch eine Frau in Zivil eingefunden, die ein Polizist als Angehörige des Innenministeriums bezeichnete. Nach der Weigerung der Antifaschisten auszureisen, wurden sie nach mehreren Stunden in einem Gefangenentransporter an die lettisch-litauische Grenze gefahren. Dort wurde ihnen der Ausweisungsbeschluss noch einmal per Mobiltelefon auf Deutsch mitgeteilt. Die Grenzpolizei hielt einen Fernbus nach Vilnius auf offener Strecke an, händigte ihnen Fahrkarten nach Berlin aus, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass sie bei Rückkehr bis zum 17. März sofort wieder festgenommen würden und schob sie ab. Das lettische Innenministerium teilte dazu später mit: »Den betroffenen Personen wurde die Einreise in Lettland aufgrund eines Beschlusses der verantwortlichen lettischen Sicherheitsbehörden und der Entscheidung des Innenministers der Republik Lettland verwehrt, berufend auf den 61. Paragraph (1. Absatz) des Immigrationsgesetzes der Republik Lettland.« Weiter heißt es, die Security Police, DROŠĪBAS POLICIJA, also der Inlandsgeheimdienst, und das Innenministerium hätte die geplante Teilnahme an den Protesten gegen den »Tag der Legionäre« als eine Gefährdung der nationalen Sicherheit und der demokratischen Ordnung Lettlands gewertet.

Schon am Morgen des 15. März war Cornelia Kerth, Bundesvorsitzende der VVN-BdA e. V., am Hamburger Flughafen der Zutritt ins Flugzeug nach Riga verwehrt worden. Dies geschah durch einem Repräsentanten von Baltic Air, in Hamburg vertreten durch Lufthansa.

Ein gutes Dutzend Antifaschisten aus Deutschland erreichte jedoch Riga und konnte sich mit den Organisatoren von Lettland ohne Nazismus bzw. dem Lettischen Antifaschistischen Komitee treffen und an der leider recht kleinen antifaschistischen Gegendemonstration, bei der unter anderem Namen von im Holocaust ermordeten Jüdinnen und Juden verlesen wurden, teilnehmen. Diese war von den Behörden in einen Park verlegt worden und wurde scharf bewacht. Zuvor war das Hotel der Delegationsteilnehmer von der lettischen Polizei quasi belagert worden, um sie von der Teilnahme abzuhalten.

Die antifaschistischen Proteste und ihre Organisatorinnen in Riga brauchen auch in Zukunft dringend stärkere internationale Unterstützung. Von den Sicherheitsbehörden und den meisten Politikern werden sie als »sogenannte« Antifaschisten abqualifiziert und im alljährlichen Bericht der Security Police als »Handlanger Moskaus« denunziert – keine gute Grundlage für demokratischen Protest, aber eine wichtige Aufgabe für Antifaschistinnen und Antifaschisten. Sehen wir uns 2017 in Riga?