Endlich mal Utopien

geschrieben von Thomas Willms

13. September 2016

Transgender in den US-Serien »Sons of Anarchy« und »Sense8«

Natürlich kann man über das Böse leichter interessante Geschichten erzählen, als über das Gute. Und doch ist es auffällig, wie sehr sich das Serien-Schaffen in den letzten Jahren darauf konzentriert zu zeigen, wie mehr oder weniger normale Menschen sich in den moralischen Abgrund manövrieren. Man fragt sich: Kann nicht einmal jemand eine Geschichte über das Gegenteil erzählen? Gibt es nicht vielleicht doch noch einen positiven Typus, ein Vorbild gar?
Die Rocker-Saga »Sons of Anarchy« (2008 – 2014) hält inmitten von Mord und Totschlag, an die man sich übrigens als Zuschauer viel zu leicht gewöhnt, einen solchen Moment bereit. Mit Walton Goggins betritt einer der charismatischsten US-Schauspieler, den man aus mehreren Rollen als durchtriebenen Südstaaten-Rassisten kennt, die Szene. In unglaublicher Manier verwandelt Goggins als Transgender-Domina »Venus« die hartleibigen Motorrad-Rocker in mitfühlende, sich ohne eigenen Vorteil für andere einsetzende Menschen. Venus entwaffnet durch eloquente Rede, Sex-Appeal, Gewaltlosigkeit und den Mut zur eigenen Biographie. Sie wird zum emotionalen Pol, zum Schneewittchen unter sieben Zwergen, das man um seiner eigenen Seele willen lieben, ehren und verteidigen muss. Genau so wirkte Venus laut übereinstimmender Medienberichte auf das zahlreiche Publikum dieser Tiefenbohrung ins Mackertum. Ideologiekritisch könnte man fragen, ob hier wohl eine neue Version des »edlen Wilden« oder der »friedfertigen Frau« präsentiert wird. Sons of Anarchy bleibt die Antwort bezüglich dieser begeisternden Nebenfigur schuldig, liefert aber mit ihrem Nachnamen »van Dam« einen schönen Hinweis. Im sich ewig selbst zitierenden Filmwesen deutet er natürlich auf den Action-Star »Jean-Claude van Damme«, die »Muskeln aus Brüssel« hin.
Die Figur der Venus – und auch das Thema »van Damme«, nun als Voodoo-Deko eines Busses in Nairobi – nimmt nun die neue Serie »Sense8« auf. Die Ideengeber und Regisseure namens »die Wachowskis« haben dafür persönliche Gründe. Die beiden, vormals als Brüder Wachowski bekannt, werden sicher einiges von ihrem eigenen Identitätswandel verarbeitet haben und vollbringen dabei etwas künstlerisch Neues. Auch hier ist es die Transgender-Frau, die alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Als hätten sie die AfD und insbesondere Beatrix von Storch bewusst auf die Palme bringen wollen, inszenieren die Wachowskis nicht-heterosexuelle Lebensentwürfe als beneidenswerte, wollüstige Form des Zusammenseins. Das Aufheben der Zwänge und Regeln wird aber radikal buchstäblich auf die Welt erweitert. Die Story besteht nämlich darin, dass acht Menschen auf allen Kontinenten gewahr werden, dass sie auf eine telepathische Weise miteinander verbunden sind und ihre Fähigkeiten und Kräfte untereinander tauschen können. Das wundervolle Märchen Sense8 weist den alten Mächten, den weißen Männern in Europa und Amerika, die als Trumps, Farages und Hofers immer noch glauben, die Welt müsse sich um sie drehen, ihren angemessenen Platz an. Die Figuren des Chicagoer Bullen und des Berliner Safeknackers symbolisieren in ihren Industriebrachen Niedergang und Gewalt als einzige Handlungsoption. Aber den Lauf der Geschichte und im Grunde den der Welt bestimmen die indische Pharmazeutin, der kenianische Busfahrer, die koreanische Managerin, die isländische Sängerin und eben die Computertransgenderfachfrau in San Franzisco. Man wird entführt in flimmernd bunt-berauschende Spielorte rund um die Welt. Die Originaltonspur ist wie ein Omelett aus Sprachen – Suaheli, Spanisch, Isländisch, Koreanisch und Deutsch, zusammengehalten durch verschiedene Dialekte des Englischen. Die Welt kann ganz anders und besser sein und diejenigen, die bislang das Sagen hatten, können sich entspannen und haben auch noch etwas davon. Das ist das Credo der Serie. Der eigentliche Plot, soweit das nach Staffel 1 erkennbar ist, dreht sich anscheinend um den Kampf gegen eine vage Industriellen-Verschwörung und wird vermutlich ähnlich ins Chaos führen wird wie bei der »Matrix«-Trilogie der Wachowskis. Aber das macht gar nichts! Freuen kann man sich über den positiv-utopischen Charakter des Projekts, ganz ähnlich wie beim Dokumentarfilm- Projekt »7 Milliarden Menschen« (siehe antifa Juli 2014). Hoffen wir, dass Sense8 es auch einmal in einen deutschen Fernsehkanal schaffe wird.