Auf Arabisch, Farsi, Französisch

geschrieben von Janka Kluge

27. November 2016

Refugee Radio: Geflüchtete in Stuttgart auf Sendung

Seit einigen Monaten senden Geflüchtete beim Freien Radio für Stuttgart. Sie gestalten die Sendungen in eigener Verantwortung, ohne dass jemand die Sendungen überprüft und abnimmt. Diese Form der Eigenverantwortung ist ein ganz wichtiges Prinzip bei selbstverwaltenden Projekten, wie es die meisten Freien Radios sind. Die Geflüchteten senden in ihren eigenen Sprachen, so dass es vorkommen kann, dass während einer Sendung Arabisch, Farsi, Englisch oder Französisch gesprochen wird. Die Entscheidung, dass die Geflüchteten selbst über die Sprache entscheiden können, mit der sie kommunizieren, hat zu vielen Diskussionen außerhalb des Radios geführt. Immer wieder hören wir, dass unsere Hörer verstehen wollen, was die Geflüchteten zu sagen haben. Außerdem können viele nicht nachvollziehen, dass wir sie ganz ohne Kontrolle senden lassen. Die Befürchtung dahinter ist, dass sich Islamisten einschleichen und das Radio für ihre Propaganda nutzen könnten. Unser Gegenargument, dass wir auch bei anderen muttersprachlichen Sendungen erst einmal den Menschen vertrauen, die zu uns kommen, wird oft mit Kopfschütteln beantwortet.
Bis wir in der Lage waren, das Radio für Geflüchtete zu öffnen, war es ein langer Weg. Am Anfang stand die interne Diskussion, die aber innerhalb kurzer Zeit abgeschlossen war. Danach haben wir angefangen, für das Projekt zu werben. Die Unterstützer von Geflüchteten waren sehr angetan von der Idee. Trotz dieser Begeisterung haben wir niemanden gefunden, der wirklich senden wollte. Ein Problem war, dass die Unterstützer der Geflüchteten sich oft bis zur Selbstaufgabe engagierten und nicht mehr die Kapazitäten hatten, für unser Projekt zu werben.

Refugee Radio im Freien Radio für Stuttgart: Jeden Dienstag von 17 bis 18 Uhr, im Internet http://www.freies-radio.de/

Refugee Radio im Freien Radio für Stuttgart: Jeden Dienstag von 17 bis 18 Uhr, im Internet http://www.freies-radio.de/

Wir waren schon kurz davor das Projekt einschlafen zu lassen, als in einem Artikel die Organisation »Reporter ohne Grenzen« erwähnt wurde. In dem Artikel ging es um die Schwierigkeiten, die geflüchtete Journalisten haben. Wir meldeten uns bei ihnen und bekamen Kontakt zu Journalisten, die geflüchtet waren. Ein Journalist aus Syrien war zuerst ganz begeistert von den Möglichkeiten, die das Radio bietet. Nachdem er aber in einem Einführungsworkshop, der für alle, die neu im Radio anfangen Pflicht ist, mitbekommen hat, dass das Freie Radio für Stuttgart sich selbst als fortschrittlich und antifaschistisch, also im weitesten Sinn als links versteht, hat er jeden Kontakt abgebrochen. Ein anderer, zu dem wir auf diesem Weg Kontakt bekommen haben, ist ein Journalist aus Pakistan. Obwohl er in einer kleinen Stadt untergebracht ist, fährt er mindestens einmal in der Woche nach Stuttgart um die Sendung im Radio zu machen. Da er wie fast alle Geflüchteten kaum Geld hat, übernimmt das Radio die Fahrtkosten für ihn.
Ein weiterer Redakteur des Refugee Radios kommt aus Kamerun. Er hat immer wieder über die Situation von Homosexuellen in Kamerun geschrieben und war in seiner Heimat Aktivist schwuler Gruppen, die für ein gleichberechtigtes Leben kämpfen. Nachdem er wegen der Veröffentlichung eines Artikels verhaftet worden war, nahm er Kontakt zur deutschen Botschaft auf und bekam eine Einreisegenehmigung. In Deutschland angekommen, beantragte er sofort Asyl. Er konnte durch das Engagement der Botschaft direkt nach Deutschland fliegen und musste nicht wie tausende andere Flüchtlinge aus Afrika die mörderische Route durch die Sahara und über das Mittelmeer nehmen.
Zu der Redaktion ist nach Beginn der Sendungen ein weiterer Journalist aus Syrien dazugekommen. Er lebte in Homs, der drittgrößten Stadt in Syrien, und betrieb dort ein Redaktionsbüro. 2011 demonstrierten zehntausende Menschen in Homs gegen das Assad-Regime. Vorbild für die Demonstrationen war der Arabische Frühling, der seinen Ausgang in Tunesien hatte. Das Militär und die Geheimdienste gingen massiv gegen die meist jungen Demonstranten vor. Besonders die jungen Medienmacher und Blogger waren von den Verfolgungen betroffen. Die Geheimdienste hatten gesehen, welche wichtige Rolle Facebook und Twitter bei der arabischen Revolution gespielt hatten. Um die Demonstrationen einzudämmen, gingen sie gezielt gegen alle vor, die sich öffentlich mit den Protesten solidarisierten, oder ein Teil von ihnen waren.
In Gesprächen haben unsere neuen Kollegen betont, wie wichtig es für sie ist, wieder journalistisch aktiv sein zu können. Sie halten Kontakt in ihre Heimatländer, wo ihre Sendungen auch über das Internet empfangen werden können.
So, wie wir unser Projekt ursprünglich angedacht hatten, konnten wir es nicht umsetzen. Dafür haben wir jetzt eine Redaktion im Radio, die tolle vielseitige Sendungen produziert. Eine Idee von uns war auch, dass wir mit geflüchteten Jugendlichen Radio machen könnten. Wir haben langjährige Erfahrungen in der medienpädagogischen Arbeit mit Jugendlichen. Doch obwohl in Stuttgart viele minderjährige Geflüchtete leben, konnten wir bis jetzt noch keine dafür begeistern.