Ungesühntes Massaker

geschrieben von Hendrik Riemer

14. Januar 2017

Ein deutsches Kriegsverbrechen und seine juristische Nicht-Aufarbeitung

Der Dokumentarfilm des VVN-BdA Mitglieds Jürgen Weber, 2016 fertiggestellt, rückt ein Massaker in den Fokus, das die SS 1944 in einem toskanischen Bergdorf auf dem Rückzug aus Italien verübt hat. Obwohl die Umstände des Massakers und die Täter bekannt waren, stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart ihre zehn Jahre andauernden Untersuchungen mangels Tatverdacht 2012 ein. Die Überlebenden des Massakers erfuhren keine juristische Gerechtigkeit. Einfühlsam und akribisch arbeitet Weber anhand von Dokumenten, Aussagen von Überlebenden, Kommentaren von Historikern und Juristen die historischen Geschehnisse und die aktuelle Bewältigung in dem 72 – minütigen Film auf.

Der Dokumentarfilm ist auf DVD erhältlich: didactmedia.eu/das-zweite-trauma  Der Regisseur kommt gerne zu einer Aufführung, um die Erstehungsgeschichte des Films zu erläutern.

Der Dokumentarfilm ist auf DVD erhältlich: didactmedia.eu/das-zweite-trauma
Der Regisseur kommt gerne zu einer Aufführung, um die Enstehungsgeschichte des Films zu erläutern.

August 1944, die deutschen Truppen sind auf dem Rückzug aus dem von ihnen besetzten Italien. Generalfeldmarschall Kesselring gab u.a. den Befehl aus, den »Bandenkampf mit schärfsten Mitteln« zu bekämpfen. »Banden« waren die Widerstandskämpfer, die sich als Partisanen gegen die Besatzer wehrten. Durch diesen Befehl schaffte der Generalfeldmarschall die Legitimation der Massaker an der Zivilbevölkerung in Vinca, Nocci, Massa,Carrara, Marzabotto und anderen Orten. Den beteiligten Soldaten wurde vorauseilende Absolution erteilt.
Die Kulturlandschaft der Toscana gilt heute für viele Deutsche als bevorzugtes Feriengebiet. Das kleine nordtoskanische Bergdorf Sant‘Anna di Stazzema erlebte im August 1944 den planmäßigen Angriff durch Panzergrenadiere, der 16. SS-Kampfgruppe »Reichsführer SS«.
In Sant‘Anna di Stazzema hielten sich neben den Bewohnern zusätzlich zahlreiche Flüchtlinge auf, die in dem Bergdorf Schutz vor den abziehenden deutschen Truppen suchten. Hauptsächlich Frauen und Kinder trafen die SS – Schergen an, als sie am 12. August 1944 das Dorf besetzten. 130 Männer, aber überwiegend Frauen und Kinder trieben sie auf dem Kirchplatz zusammen, erschossen diese mit Maschinengewehren und warfen Handgranaten in die Menge. Über den Berg der Toten schichtete die SS das Holzgestühl aus der Kirche und zündeten alles mit Flammenwerfern an. Die Häuser wurden gestürmt und die hierein geflüchteten Schutzsuchenden bestialisch ermordet.
Etwa 560 Zivilisten, überwiegend Frauen und Kinder, fielen diesem Kriegsverbrechen, das als »Strafaktion« bezeichnet und geplant war, zum Opfer. Nur einige wenige versteckte Kinder im Alter von zwei bis zehn Jahren entkamen verletzt an Leib und Seele diesem Massaker.
Einige diese Kinder, 72 Jahre später, kommen als Zeitzeugen im Film zu Wort und berichten über das Massaker aus ihrer Erinnerung. Wie in Deutschland so auch in Italien gab es lange Zeit ein Verschweigen der Gräueltaten aus der Besatzungszeit. Erst ab Mitte 1990 setzte eine Auseinandersetzung und Aufarbeitung der Kriegsverbrechen ein.
Der Generalmilitärstaatsanwalt Marco De Paolis in La Spezia ermittelte 2002 bis 2003 über das Massaker in Sant‘ Anna di Stazzema. Seine Nachforschungen zogen auch Erkenntnisse aus deutschen Archiven hinzu. 2004 fand der Prozess statt. Zehn namentlich bekannte am Massaker beteiligte SS-Angehörige wurden in Abwesenheit zur lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
Und in Deutschland? Der Oberstaatsanwalt Häusler in Stuttgart, befasst mit der Ausarbeitung einer Anklage, weigerte sich das Urteil von Le Spezia anzuerkennen. Er verweigerte auch die Hinzuziehung der Prozessakten des dortigen Gerichts. Die überlebenden Zeitzeugen Pieri, Masili, Dardini, Mancini wurden nicht angehört. 2012 stellte er seine Nachforschungen ohne Ergebnis ein. Der Auslieferungsantrag des Gerichts in La Spezia, die zehn verurteilen SS Männer zu überstellen, wurde abgelehnt. Eine Entschädigung nicht gezahlt.
Die Berichte der Zeitzeugen über das bestialische Massaker sind sachlich und aufklärend. Nicht Hass auf die Mörder schwingt in den Aussagen mit, sondern allein der berechtigte Anspruch auf juristische Verurteilung des Kriegsverbrechens. Diesen haben sie von deutschen Gerichten nicht erhalten.
Der Dokumentarfilm »Das zweite Trauma« ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, was die VVN – BdA unter Erinnerungskultur versteht und darüber hinaus für die Auseinandersetzung in der heutigen Gesellschaft über Kriegsverbrechen der deutschen Truppen in den damaligen besetzten Ländern.

Der Dokumentarfilm ist auf DVD erhältlich: http://didactmedia.eu/das-zweite-trauma

Der Regisseur kommt gerne zu einer Aufführung, um die Erstehungsgeschichte des Films zu erläutern.