»Casa Brecht« in Uruguay
7. Mai 2017
Kulturzentrum mit Wurzeln in der antifaschistischen Emigration
Montevideo ist ein Paradies für Künstler aller Genres, das sich unter den Bedingungen demokratischer und kulturfreundlicher Traditionen, wie liberaler Denkfreiheit, staatlicher Subventionierung von Kunst und Kultur, eines ausgebauten Bildungssystems und der Pressefreiheit herausbilden konnte. Auch wenn diese Atmosphäre in der Geschichte immer wieder durch Kriege und Diktaturen unterbrochen wurde, so gehört zu Montevideo eine blühende Kulturszene, die z.B. durch Maler wie Juan Manuel Blanes, Pedro Figari, Rafael Barradás und José Gurvich und Schriftsteller wie José Enrique Rodó, Mario Benedetti und Eduardo Galeano, bekannt ist. Die Künstler wirkten weit über den Rahmen ihres Landes stilbildend in der ganzen Welt. Ein breites Netz von Museen, Buchläden, Galerien, Bibliotheken, Zeitschriften, Kunstwerkstätten, Theatern, insbesondere das »Teatro Solis«, das älteste und eines der größten Theater Südamerikas, zeugt von der Kultur- und kunstfreundlichen Atmosphäre in Montevideo. Künstler und Kulturschaffende gehörten oft zum progressiven Teil der Gesellschaft. Ein Beispiel ist Eduardo Galeano mit dem Buch »Die offenen Adern Lateinamerikas«, das zur Grundlagenliteratur der historischen Entwicklung Lateinamerikas gehört.
In diese Szene ordnet sich das uruguayisch-deutsche Kulturinstitut »Casa Bertolt Brecht« (Bertolt Brecht-Haus) ein. Bertolt Brecht ist in Uruguay kein Unbekannter, seine Stücke werden in den zahlreichen Theatern in Montevideo gespielt, es finden Lesungen statt und seine Werke wurden ins Spanische übersetzt. Sicher trug die deutsche antifaschistische Immigrantengemeinschaft während des Zweiten Weltkrieges und danach zu seiner Verbreitung erheblich bei. Die »Casa Bertolt Brecht« liegt im Zentrum von Montevideo in einer sehr schönen Gründerzeitvilla auf der von Platanen bewachsenen Strasse Andés, nicht weit weg vom »Teatro Solis« und nahe des Hauptplatzes von Montevideo, der »Plaza Intependencia«, auf dem sich das Mausoleum mit General José Artigas befindet, der den Unabhängigkeitskampf Uruguays gegen Spanien anführte.
Die »Casa Bertolt Brecht in Montevideo« ist ein gemeinnütziger uruguayischer Verein, der sich zum Ziel gestellt hat, die Werke von Brecht in Uruguay bekannt zu machen, die interkulturelle Kommunikation, den Kulturaustausch zwischen Uruguay und Deutschland und die Vermittlung der deutschen Sprache zu fördern. Außerdem gehört es zu seinen Grundsätzen, einen Raum für politische Bildung, politische Aufklärung, den Austausch zwischen den Generationen zu schaffen.
Die Geschichte der Casa Brecht
Ursprünglich handelte es sich bei diesem Institut um die »Freundschaftsgesellschaft Uruguay – DDR – Bertolt Brecht-Haus«, das 1964 von einer Gruppe links eingestellter antifaschistischer uruguayischer Initiatoren wie Guillermo Israel und Ernesto Kroch gegründet wurde. Die Initiatoren gingen zum großen Teil aus dem »Deutschen Antifaschistischen Komitee« hervor, das sich während des Zweiten Weltkrieges aus vom nationalsozialistischen Deutschland Vertriebenen und geflüchteten Antifaschisten zusammen setzte und in dem heutigen Brechthaus, der »Casa Rosenberg« in der Calle Andes, seinen Sitz hatte. Nach dem Krieg wurde das Komitee geschlossen, doch blieb es weiterhin ein Zentrum der politischen Diskussion und des ideellen Austausches zwischen den antifaschistischen MigrantInnen mit deutschen und jüdischen Wurzeln, die in Uruguay geblieben waren. 1964 schließlich wurde die »Freundschaftsgesellschaft Uruguay – DDR. das Brecht-Haus«, kurz in Spanisch »Casa Brecht« gegründet. Es widmete sich dem kulturellen Austausch zwischen beiden Ländern, in dessen Rahmen die Werke von Brecht bekannt gemacht wurden, Lesungen von deutschen und uruguayischen Schriftstellern und verschiedene Ausstellungen von Künstlern beider Länder stattfanden. Der Deutschunterricht war auch ein wichtiges Angebot des Hauses. 1973, ein Jahr nach dem Militärputsch in Uruguay, wurde das Brechthaus von der Militärregierung geschlossen und die Mitglieder des Direktivrates verhaftet. Trotz des Privatbesitzes der Immobilie durch Lidia Zahari konfiszierten die Militärs das Haus und das Mobiliar, richteten dort ein Kinderheim ein und übergaben die Bibliothek der Botschaft der BRD. Nach der Rückkehr zur Demokratie 1985 wurden dem Institut die Immobilie und das Mobiliar von der Colorado-Regierung (Liberale Partei) zurückgegeben. Zu dem regen Kulturaustausch zählten nun wieder Lesungen und Theateraufführungen der Werke von Bertolt Brecht. Bekannte uruguayische und deutsche Künstler, wie Herbert Otto, Mario Benedetti und Eduardo Galeano, stellte dort ihre Arbeiten vor. Die Besitzerin der Immobilie schenkte diese Ende der 1980er Jahre dem Institut.
Nach der Übernahme der DDR durch die BRD 1990 stand das Institut vor dem Problem »zu schließen oder weiter zu machen.« Am 7. Februar 1990 entschied der Direktivrat einstimmig, weiter zu machen, nun auf einem eigenen Weg, der auch bis dahin noch nicht ausgeschöpfte kulturelle Ressourcen ermöglichte. Für Uruguay, das einen Mangel an progressiven Kulturinstituten nachwies, war das eine Bereicherung. Der Privatbesitz der Immobilie ermöglichte eine vom Goethe-Institut unabhängige Entwicklung und konnte von diesem nicht, wie andere Kultur-Institute der DDR nach 1990, übernommen werden. Neue Partner in Deutschland zu finden, war für das Brecht-Haus nicht einfach. Zu diesen zählten die Alexander von Humboldt-Gesellschaft aus Berlin, verschiedene politische Stiftungen wie die Rosa Luxemburg-Stiftung und die Heinrich-Böll-Stiftung, und die Evangelische Akademie Bad Böll. In den letzten Jahren kamen neue Kooperationspartner wie die NGO »Umverteilen«, das Goethe-Institut, die deutsche Botschaft in Uruguay, die NGO »Brot für die Welt«, das Inkota-Netzwerk, RedVIDA und »Global Greengrants« aus den USA dazu. In Uruguay kooperiert die »Casa« mit einer Reihe von Organisationen und sozialen Bewegungen. Sie nimmt an der »Nationalen Kommission zur Verteidigung des Wassers« und dem Programm für »Volksbildung Serpai y Amnestía Internacional« teil und kooperiert mit der Nationaluniversität der Republik Uruguay über den gegenwärtigen Sekretär der »Casa«, den Soziologen und Umweltspezialisten Prof. Dr. Javier Taks. Das Institut ist auf den Weltsozialforen unter dem zapatistischen Slogan »Eine andere Welt ist möglich« präsent.
Die »Casa Brecht« will besonders sozialen Bewegungen, die die neoliberale und konservative Entwicklung kritisieren, eine Plattform bieten und sie unterstützen. Dazu gehörte z.B. die Unterstützung des Volksentscheids gegen die Wasserprivatisierung in Uruguay 2004. Es gelang tatsächlich, u.a. durch Diskussionsveranstaltungen und mithilfe einer Dokumentation der »Casa« mit dem Titel »Las Canillas Abiertas de América Latina« (Die offenen Hähne Lateinamerikas) eine Privatisierung abzuwenden. Hier wurde dargestellt, dass Wasser als öffentliches Gut und als Menschenrecht für alle zu betrachten ist, das nicht in private Hände geraten darf. Auch der Volksentscheid gegen die Herabsetzung des Strafalters für Jugendliche »No a la baja« war erfolgreich. Die »Casa Brecht« führte zu diesem Thema verschiedene Seminare durch und erstellte eine Dokumentation unter dem Titel »Medidadas No Privativas de Libertad en Adolescentes« (keine Freiheitsentzug für Minderjährige) zusammen.
Der Deutschunterricht der »Casa Brecht« ist eine wichtige Kulturressource, aber auch eine Finanzquelle. Nach 1990 war das Erstellen neuer Lehrtexte, die durch die »Casa« editiert wurden, eine echte Herausforderung. Die Arbeiten an den Texten durch Ruth Dieschi, Virginia Puntigliano und Dieter Schonebohn mit ihren breiten Erfahrungen als Deutschlehrer, Linguisten und Übersetzer waren dabei von unschätzbarem Wert.
Aus der Kultur- und Bildungsarbeit des Hauses
Die »Casa Brecht« bietet ein breites Spektrum von kulturellen, politischen und Bildungsveranstaltungen an. Sie produziert Videos, verfasst Radio – Sendungen, führt Seminare, Projekte, graphische Kampagnen, Fotoausstellungen und Buchlesungen durch, hat einen eigenen Web-Auftritt und publiziert eigene Bücher.
Das Brecht-Haus kann auf eine Reihe von Publikationen, die ihrem Anliegen der kulturellen und politischen Bildung dienen, zurückblicken. Eines der jüngsten Bücher, ist das zum 100. Geburtstag von Ernesto Kroch, dem Gründer der »Casa Brecht«. Aber auch die Autobiographie von Ernesto Kroch mit dem Titel » Reencuentro y otros desencuentos« (Wiederbegegnungen und andere Entfremdungen) wurde mit Unterstützung des Brecht-Hauses beim Verlag Ediciones de La Banda Oriental 2012 herausgegeben. Hier beschreibt Ernesto Kroch, wie er in Breslau geboren, als deutsch jüdischer Kommunist, Gewerkschafter und politischer Aktivist, von den Nazis mit 17 Jahren ins Gefängnis und später ins KZ gesteckt wurde, unter der Bedingung Deutschland zu verlassen frei gelassen wurde, über Jugoslawien, Frankreich und Italien nach Uruguay flüchtete und in Montevideo in der Metallarbeitergewerkschaft und der Kommunistischen Partei aktiv wurde. Nach dem Militärputsch in Uruguay von 1973 ging er in den widerständischen Untergrund. Sein Sohn wurde von den Militärs verhaftet und jahrelang im Gefängnis festgehalten. Schließlich floh Ernesto Kroch 1982 über Brasilien in die BRD, wo er politisch wieder in der Gewerkschaft aktiv wurde. Doch wurde er in der BRD nicht heimisch und schon drei Jahre später, nach dem Ende der uruguayischen Diktatur, zog es ihn wieder nach Uruguay. Nun widmete er sich erneut der Arbeit in der wieder geöffneten »Casa Brecht«, unterstützte die progressive Regierung von Montevideo und beteiligte sich an Stadtteilarbeitsprojekten in den armen Wohnvierteln. In seinem Buch schreibt er über die Wege eines Migranten, der zweimal in seinem Leben gewaltsam vertrieben, jeweils freundlich in anderen Ländern aufgenommen wurde, sich immer politisch aktiv engagierte und sich immer mit dem »Fremd-Sein« auseinandersetzte. Dass er in seiner alten Heimat wiederum Fremdheitserfahrungen durchmachte, überraschte ihn selbst. Zurückgekehrt nach Uruguay hielt er jedoch seine Kontakte nach Deutschland aufrecht und kehrte oft dorthin zurück, um Vorträge in Schulen und bei Attac zu halten.
Mit all seinen Aktivitäten ist die »Casa Brecht« ein wichtiger Bestandteil der Kulturlandschaft Montevideos und Uruguays, die mit ihrem anspruchsvollen Programm und ihrer Ausstrahlung auf die Bevölkerung nicht wegzudenken ist. Umso unverständlicher ist es, dass die »Casa Bertolt Brecht« auf der Website der deutschen Botschaft in Montevideo nicht neben dem Goethe-Institut genannt, sondern verschwiegen wird. Ist das ein Überbleibsel der »Hallstein-Doktrin« oder Voreingenommenheiten gegenüber sozialen Bewegungen, insbesondere denjenigen, die gegen Privatsierungsobjekte von »Common Goods« wie Wasser und Elektroenergie oder gegen die Errichtung öko-ökonischer Zonen, an denen sich der Leiter der »Casa Brecht« Javier Taks direkt beteiligt, gerichtet sind?
Dem Erbe von Bertolt Brecht wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Zu nennen wäre besonders das Brecht-Archiv, das als Gewinner des »Wettbewerbsfonds für Kultur« des »Instituts für Kultur und Bildung in Uruguay« 2015 finanzielle Zuwendungen erhält. Das Archiv widmet sich der Verbreitung der Brecht-Werke und deren Rezeption und Dokumentationen aus den Jahren 1957 bis 1973 in Form von Video-Aufzeichnungen über Theateraufführungen und Interviews mit Schauspielern, Regisseuren, Bühnenbildnern und Musikern, die über die Website des Hauses der Allgemeinheit zugängig sind. Auch kann man Plakate, Programme, Fotografien und Pressemitteilungen zu den verschiedenen Brechtaufführungen, besonders in Uruguay und Deutschland, ansehen.
Zum 60. Todestag von Bertolt Brecht fand eine Hommage mit Künstlern im Atahualpa-Saal des Teatro Galpón statt.