Showdown in der Schule
7. Mai 2017
Oder: Wenn die beste Freundin einen Neonazi liebt
Es gibt mittlerweile Berge von Sachbüchern, die sich mit den gegenwärtigen Jugendkulturen im Allgemeinen und mit deren Verstrickungen in neofaschistischen Vereinigungen im Besonderen befassen. Rar gesät sind jedoch spannende Romane, die sich mit eben diesem Thema beschäftigen. Insofern betritt Christina Erdmann hier quasi Neuland. Und sie ist prädestiniert dafür, denn ihre eigene Jugend liegt noch nicht lange zurück.
Die Geschichte dreht sich um zwei Mädchen, Nishelle und Anna-Lena, die die 10. Klasse einer kleinstädtischen Realschule besuchen. Sie sind eng befreundet, aber diese Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt. Anna-Lena verliebt sich nämlich in den Gymnasiasten Benni. Das wäre nun nicht schlimm, denn so etwas kommt in dem Alter halt vor. Zum Problem wird diese Beziehung erst dadurch, dass Benni Mitglied der »Wölfe«, einer neofaschistischen Organisation im Ort, ist. Anna-Lena verstrickt sich immer stärker in die Gedankenwelt dieser Organisation – und entfremdet sich deshalb zunehmend von ihrer Freundin Nishelle. Nishelle ist nämlich schon wegen ihrer dunklen Hautfarbe – ihr Vater ist Ghanaer – ständigen Angriffen und Provokationen der »Wölfe« ausgesetzt. Zudem verfügt Nishelle über einen wachen Verstand. Ihr entgeht nicht, dass die »Wölfe« einen steigenden Einfluss auf ihre Mitschüler ausüben. Sie beginnt nun, über alle möglichen Quellen Informationen über rechtsextremistische Strömungen einzuholen. Und sie möchte auch praktisch den Neo-nazis die Stirn bieten. Als Verbündete gewinnt sie nach sehr geduldigen Verhandlungen auch Lehrer ihrer Schule.
Natürlich entgeht den »Wölfen« nicht, dass ihnen mit Nishelle eine zähe Gegnerin gegenübersteht. Nach bewährter Methode versuchen die Neonazis wiederholt, sie einzuschüchtern und überhaupt ein Klima der Angst zu verbreiten.
Zum Showdown kommt es auf einem »Fest für Zivilcourage«, für das Nishelle und ihre Verbündeten viele Wochen der intensiven Vorbereitung investiert haben. Aber auch die »Wölfe« waren nicht untätig…
Natürlich wird hier nicht verraten, wie das alles endet, nur so viel: Wenn man diesen Roman zu Ende gelesen hat, fühlt man sich nicht dazu eingeladen, einfach die Hände in den Schoß zu legen. Vielmehr kann es nur eine Konsequenz geben: Niemals nachzulassen im Kampf gegen den immer noch virulenten Neofaschismus!
Christina Erdmann vermeidet die Stereotype, die zuweilen aufkommen, wenn sich bestimmte Autoren mit dem Neofaschismus beschäftigen. Darin besteht eine große Stärke ihres Romans. Denn Stereotypisierungen können eine besondere Form der Verharmlosung sein. Die Autorin tappt zum Beispiel nicht in die Falle, alle Neonazis als tumbe »Haudraufs« zu zeichnen. Diesen Typus trifft man eher in den unteren Bereichen der strikten Nazihierarchien an, die dann fürs Grobe, für die Verbreitung von Angst und Schrecken, zuständig sind. Christina zeigt uns aber auch die Welt jener Nazis, die weiter oben in der Hierarchie angesiedelt sind. Diese Leute sind intellektuell geschult und in der Lage, zielgruppenorientierte Strategien (wie man es neudeutsch nennen kann) zu entwickeln. Und die Zielgruppen werden klar genannt: Menschen, deren Bewusstseinsbildung nie über den Status des »gesunden Volksempfindens« gediehen ist. Und davon gibt es viele. Pegida, AfD & Co. legen davon gerade ein besorgniserregendes Zeugnis ab.
Christina Erdmann hat für diesen Roman geradezu akribisch eine Aufgabe bewältigt, die zu den unangenehmsten gehört, die man sich überhaupt vorstellen kann: Sie hat sehr genau in den Milieus der Neonazis recherchiert. Christina ist Tostedterin und in einigen Details kommen auch Tostedter Eigenheiten zum Vorschein. So gab es den ‚Streetswear-Laden‘ , der als Kristallisationspunkt für neonazistische Aktivitäten im Roman eine wichtige Rolle spielt, in Tostedt wirklich. Trotzdem könnte die Romanhandlung mit nur wenigen Abwandlungen in jeder Gegend Deutschlands spielen. Darin liegt eine große Stärke des Romans – und zugleich eine große Gefahr, der sich alle überzeugten Antifaschisten stellen müssen.
Wir müssen das »gesunde Volksempfinden«, das jederzeit wieder in die Mentalität und Brutalität eines KZ-Wärters münden kann, mit Aufklärung konfrontieren. Denn nur ein aufgeklärtes Bewusstsein kann ein dauerhafter Schutz gegen neofaschistische Bauernfängerei sein. Aufklärung und Zivilcourage beginnen im Klassenzimmer.
Dieser Roman klärt auf und ist bestens geeignet, als Klassenlektüre in der Sekundarstufe I eingesetzt zu werden. Aber wir haben es nicht nur mit einem bloßen Jugendbuch zu tun. Lehrer und Erzieher sollten dieses Buch auch lesen – und alle Menschen, die gerne einmal einen spannenden antifaschistischen Roman lesen wollen.