Marke Speer vom Markt?

geschrieben von Ernst Antoni

13. Juli 2017

Ausstellung in Nürnberg und neues Buch machen Hoffnung

 

Wer in die Halle im Dokumentationszentrum des ehemaligen »Reichsparteitagsgeländes« eintritt – elf Meter hoch und breit, 40 Meter lang – steht vor einer begehbaren Installation. Ein nach oben offener Pavillon. Die Außenwände gebildet aus fünf riesigen Buchstaben. Darauf Fotografien: Immer wieder ein Mann, mal in Uniform, öfter in Zivil. An seiner Seite Persönlichkeiten eines einst öffentlichen Lebens. Unübersehbar der mit dem Bärtchen.

»Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit«, heißt die Ausstellung über den, der nicht nur dieses schließlich unvollendet gebliebene Areal für Nürnberg, die »Stadt der Reichsparteitage«, entworfen hatte, sondern in den zwölf Jahren des geplanten »Tausendjährigen Reiches« führender Architekt bleiben sollte. Auch im übertragenen Sinne. Nicht zuletzt als Rüstungsminister.

Großbuchstaben bilden das Gerüst der Installation. S, P, E, E und R.: SPEER. Sie springen uns auch weiter ins Auge, wenn wir den »Empfangs-Pavillon« verlassen haben. In diesem gab es die Hauptperson im O-Ton, Lese-, Anhör-, Anschauungsstoff, Text-, Film- und Tondokumente. Vieles blieb da noch ins Halbdunkel getaucht, Orientierungshilfe gefragt…

Die folgt, bringen Besucherinnen und Besucher die notwendige Zeit und Geduld mit. In der Ausstellungshalle wartet ein Tisch-Geviert, an dem manches, was eingangs zu erahnen war, nun deutlicher präsentiert wird. Ausführlich wird dokumentiert, wie Bewohnern der damaligen Bundesrepublik (und nicht nur diesen) von der Mitte der 60er-Jahre an beinahe bis heute ein entscheidender Protagonist der NS-Herrschaft als »Gewandelter« verkauft werden konnte. Als einer, der unwillentlich ins Räderwerk des Regimes eingebunden wurde. Als einer, den 20 Jahre Haft durch die Alliierten der Anti-Hitler-Koalition in Spandau so geläutert hätten, dass er nun unbedingt Zeugnis ablegen wollte. Als Beinahe-Helden gar, der – vergeblich – versucht habe, dem Regime aktiv entgegenzutreten.

Buch-Neuerscheinung zum Thema: Magnus Brechtken, Albert Speer. Eine deutsche Karriere, Siedler Verlag München, 912 S., 40 Euro

Buch-Neuerscheinung zum Thema:
Magnus Brechtken, Albert Speer. Eine deutsche Karriere, Siedler Verlag München, 912 S., 40 Euro

Die auskragenden Rahmen des Tisch-Rechtecks, vor dem wir uns nun befinden, sind »Büchertische«. Hier liegen anschaulich nebeneinander aufgereiht viele mit gefälligen Schutzumschlägen versehene Hardcover-Editionen. Dazwischen auch der eine oder andere Taschenbuch-Titel, der diesen folgte. Auf den Umschlägen lesen wir, meist in Großbuchstaben gesetzt, den Namen. Das Erlebnis vom Eintritt ins Ausstellungsgebäude wiederholt sich. SPEER bleibt Logo. Auch dann, wenn der so Präsentierte gar nicht Autor des Werks ist sondern nur Interviewpartner ist oder Porträtierter.

Ein »Markenname«. SPEER stand (und steht?) für etwas, was nicht nur kommerziell bedeutsam war: Für »Authentisch-Historisches«, »Informationen aus erster Hand«. Und für: »Wir waren es doch nicht, sondern nur der Hitler und ein paar Obernazis«. Für »Da-konnte-man-halt-nichts-machen« und »Wir-haben-immer-das-Beste-gewollt«. Für späte »Persilscheine«, ausgestellt von einem von »ganz oben«, der nun »gesühnt« hatte.

Das funktionierte nicht nur »daheim«. In den USA etwa oder in Großbritannien – auch das zeigt die Ausstellung – wurde Speer präsentiert als »the good Nazi«. Dies in »Kalte-Kriegs«-Muster einzuordnen ist bestimmt nicht falsch – ausreichend ist es nicht, sieht man, wer diesem Konstrukt alles auf den Leim gegangen ist.

Umso verdienstvoller ist der mit der Ausstellung und auch mit der kurz nach deren Eröffnung erfolgten Publikation der neuen Biographie »Albert Speer. Eine deutsche Karriere« von Markus Brechtken eingeleitete Versuch einer nun endgültigen »Entzauberung« der »Marke Speer«. Im Inneren des Nürnberger Bücher-Gevierts sind Zitate von Zeitgenossen zu lesen, als der »Speer-Hype« vom FAZ-Mann und »Hitler-Spezialisten« Joachim C. Fest und vom Verleger Wolf Jobst Siedler (damals beim Springer-Ableger »Propyläen«) angeschoben wurde. Kritischen Stimmen – u.a. der Auschwitz-Überlebende und Autor Jean Améry oder der Psychologe Alexander Mitscherlich – waren da erschreckend in der Minderheit.

Wer sich in die Info-Monitore der Schau versenkt, kann von heutigen Forscherinnen und Forschern (Isabell Trommer, Jörn Düwel, Bertrand Perz, Jens-Christian Wagner, Susanne Willems, Matthias Schmidt und Heinrich Schwendemann) und auch von Heinrich Breloer (seinen TV-Film »Speer und Er« betreffend) einiges lernen, wie der »Speer-Fake« lanciert, etabliert und jahrzehntelang haltbar gemacht werden konnte. Und welch bedeutende Rolle dieser Speer im Massenmordsystem des NS-Regimes tatsächlich gespielt hat.

Die Ausstellung ist noch bis zum 26. November 2017 in der Großen Ausstellungshalle des Dokumentationszentrum Reichsparteigelände, Bayernstraße 110, 90478 Nürnberg zu sehen. Katalog: Michael Imhof Verlag, 88 S., 9,80 Euro