Die Selbstschutzwand durchbrechen

geschrieben von Nils Becker

16. Juli 2017

Zum kleinen Band »Adolf Hitler nach-gedacht«

 

Manchmal sind es ganz einfache Dinge, die uns in die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit treiben. Der Psychologe Klaus Weber beschreibt es an einer Geige. Das aus 9000 Streichhölzern gefertigte Instrument wurde von seinem Erbauer Siegfried Geiger 1936 als Geburtstagsgeschenk an Adolf Hitler übergeben. Dafür fuhr er sogar nach Berchtesgaden, wo er leider nur die Leibgarde Hitlers antraf. Wie kommt ein Schreiner aus Kolbermoor (Oberbayern) dazu, solch ein Geschenk zu überreichen? Welche Rolle spielte Hitler sozialpsychologisch und was änderte sich nach 1945? Welches Verhältnis haben die Deutschen heute noch zu ihm? Solche und viele weitere Fragen, die sich einem wachen Geist, der in Kolbermoor in den 60er Jahren aufwächst, stellen, haben Klaus Weber unter anderem zu diesem kleinen und sehr lesenswerten Buch ermutigt.

 

Klaus Weber »Adolf Hitler nach-gedacht«, Argument-Verlag 2016, 160 Seiten, 9,90 Euro

Klaus Weber »Adolf Hitler nach-gedacht«, Argument-Verlag 2016, 160 Seiten, 9,90 Euro

»Selbst die Klügsten verlieren ihren Verstand«

Wenn es um Hitler geht, ist laut Weber hierzulande kein rationales Argumentieren möglich. Exemplarisch zeigt er dies an populären Hitler-Biografien (z.B. von Joachim C. Fest, Ian Kershaw, Volker Ullrich, Wolfram Pyta, Peter Longerich), insbesondere aber an der kommentierten Ausgabe von Hitlers »Mein Kampf«. An letzterer hat Weber sogar als ehrenamtlicher sozial-psychologischer Berater mitgewirkt. Er konnte den Historikern vom Institut für Zeitgeschichte (IfZ) Fragen zu den Zusammenhängen von Hitlers Subjektentwicklung und den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen beantworten. Seine nun harsche Kritik, am Herausgeber Christian Hartmann, die er wortgewandt und genüsslich in dem kleinen Band ausbreitet, ist entsprechend fundiert, erscheint aber manchmal übertrieben. Zu Hartmann heißt es beispielsweise: »Hitler muss sterben, damit das deutsche Volk weiter kultiviert und gebildet und von Hartmann geliebt werden kann«.

 

Die Selbstschutzwand

Letztlich geht es in Webers Kritik um klassische Probleme der Biografieforschung. Wie gehen His-torikerInnen an so einen wie Adolf Hitler ran? Entweder stellen sie formal die Person, ihre Handlungen und Motive in den Mittelpunkt der Analyse (beispielsweise Hitlers schwere Kindheit). Oder sie versuchen, über die strukturellen Verhältnisse (bei Hitler oft die zeitweise Arbeitslosigkeit im Wien der 1910er Jahre) die Taten und Motive der einzelnen Personen zu begründen. Beides muss aber, laut Weber, der sich der Kritischen Psychologie verschrieben hat, miteinander verbunden werden. Und das wird von den Hitler-Biografen nicht nur unterlassen. Sie versteifen sich vielmehr auf nicht begründbare (psychologisierende) Thesen, haben ungenügendes wissenschaftliches Werkzeug zur Hand und neigen zu (erneuten) Mystifizierungen der (Über)Person Adolf Hitler. Dieses bewusste Unvermögen steht einer ernsthaften Aufarbeitung des Faschismus, der weder bei Hitler begann, noch mit ihm endete, im Weg. Denn den Hitler-Biografen geht es – und hier ist es Weber, der sich etwas zu steif macht – im Grunde auch nicht um Aufdeckung und Verhütung des Faschismus, sondern darum, das westlich-demokratisierte Nachkriegsdeutschland (inklusive des »geläuterten« Militärs und des Kapitals), als Kontrastprogramm zum deutschen Faschismus in Schutz zu nehmen. Weil die Kontinuitäten nach dem 8. Mai 1945 möglichst nicht auf den Tisch kommen sollen, bleibt nur »Hitler« als einziger echter Verantwortlicher für die »dunkelste Zeit« (auch so eine Metapher, die mehr verdeckt als sie erklärt). Die LeserInnen der Hitler-Biografien sollen sich gerade nicht selbst befragen, ob sie als Mitläufer, Mitmacher, Zuschauer oder Widerständler damals (oder vielleicht auch heute?) dabei gewesen wären. Hitler, Wahnsinn, Verführung. Auf diese Weise kann man nichts aus der Geschichte lernen.

Die breite Kollegenschelte nimmt man Weber auch deshalb ab, weil er auf gerade einmal 20 Seiten ausführen kann, mit welchen psychologischen Kategorien man sich an eine Hitler-Biografie wagen müsste, damit der Anspruch zu Erklären auch erfüllt werden kann. Hier schreibt einer, der nicht nur gern austeilt, sondern auch alles dazu gelesen hat.

Faschismus und Ideologie

Der zweite wichtige Punkt, den Weber in dem Band macht, ist die Entwicklung und der aktuelle Stand der theoretischen Durchdringung des Faschismus, insbesondere seiner Faschisierungs-These (»das Changieren zwischen Gerade-Noch demokratisch und Noch-Nicht faschistisch«). Hier nimmt er seitenlang Bezug auf den Doppelband »Faschismus und Ideologie« von 1980, dessen Neuauflage von 2007 er selbst verantwortet. Die Einblicke in die Faschismusforschung sind nicht nur erhellend. Vielmehr ist diese Arbeit der Zukunft verpflichtet um die »Handlungsmöglichkeiten eines fortschrittlichen Blocks« zu erweitern. Welche Auswege aus der Faschisierung gibt es denn? Wie können wir uns vergesellschaften »ohne dass anderen ein Haar gekrümmt wird«? Der Ausweg aus der »entfremdeten Gemeinschaftlichkeit« der Hitler-Jugend verläuft, so Weber, nicht über Individualisierung, sondern über kollektive Auseinandersetzungen mit den Verhältnissen. Dieser zweite Teil des Buches kann auch als Beitrag zu aktuellen (Populismus-)Diskussionen gelesen werden.

Christian Hartmann, Othmar Plöckinger »Mein Kampf – Eine kritische Edition«, IfZ 2017, 1.966 Seiten 59 Euro

Klaus Weber »Faschismus und Ideologie« Argument-Verlag 2007, 374 Seiten, 19,50 Euro