Was macht ihr auf der documenta?

9. August 2017

Ausstellung »Europäischer Widerstand gegen den Nazismus« in Kassel

antifa: Ulrich, du bist Generalsekretär der FIR, aber auch Kreissprecher der Kasseler VVN-BdA. Warum habt ihr diese Ausstellung zur documenta14 nach Kassel geholt?

Ulrich Schneider: Schon die letzte documenta war recht politisch. Und wir waren der Meinung, dass eine Kunstausstellung, die sich den politischen Fragen der Zeit stellen will, auch die Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand in den Blick nehmen müsse. Und vielleicht erreichen wir auch einige der erwarteten eine Million Besucher mit diesem geschichtspolitischen Angebot. Seit zwei Jahren bin ich mit dem Kuratoren-Team der documenta14 im Gespräch und seit mehreren Monaten haben wir gemeinsam mit der VHS und einem breiten gesellschaftlichen Trägerkreis die Präsentation und zahlreiche Begleitveranstaltungen vorbereitet. Wir präsentieren die Ausstellung zuerst in einer Oberstufenschule, dann im Gewerkschaftshaus und zum Abschluss in der Volkshochschule, wodurch wir viele verschiedene Interessenten erreichen wollen.

Ich hoffe insbesondere, dass die eingeladenen Zeitzeugen, die ja alle hochbetagt sind, auch kommen werden, denn das wird eine der letzten Gelegenheiten werden, mit ihnen gemeinsam die Erinnerung zu bewahren.

antifa: Christos, du bist Vorsitzender der PEAEA und Vize-Präsident der FIR. Du wurdest als Zeitzeuge zu der Ausstellungseröffnung eingeladen. Was ist die Besonderheit des griechischen Beitrags zum antifaschistischen Kampf?

Christos Tzintsilonis: Der griechische Widerstand war eine breite gesellschaftliche Bewegung. Die KKE hatte im Herbst 1941 die Initiative zu einem breiten gesellschaftlich getragenen Bündnis der »Nationalen Befreiungsfront« (EAM) ergriffen. Hierin vereinigten sich Arbeiterorganisationen, doch auch Bauern und Vertreter der Kirche beteiligten sich an den Kämpfen gegen die faschistische Okkupation. Schon im Dezember 1941 wurde auf Beschluss der EAM die Demokratische Armee (ELAS) aufgebaut. Unter der Leitung des legendären Kommandeurs Áris Velouchiotis wurde die ELAS zur stärksten militärischen Kraft im Widerstandskampf und umfasste zum Ende etwa 120.000 Frauen und Männer. Herausragende Aktionen waren die Sprengung der Gorgopotamos-Brücke im November 1942, die den Nachschub für das deutsche Afrika-Korps massiv behinderte. Aber auch symbolische Aktionen, wie die Beseitigung der Hakenkreuzfahne von der Akropolis, waren wichtig. Die Faschisten wussten darauf nur eine Antwort: Zahllose Massaker und andere Verbrechen gegen die griechische Bevölkerung. Gegen Kriegsende konnte die ELAS trotz Okkupation ein Großteil des griechischen Territoriums unter ihre Kontrolle bringen und baute dort bereits antifaschistische Verwaltungsstrukturen auf. Diese Erfahrungen an Nachgeborene zu vermitteln, ist dringend notwendig. Daher war es für mich beeindruckend, dass so viele junge Menschen an der Eröffnungsveranstaltung teilgenommen haben.

antifa: Aristomenis, Du bist Sekretär im Nationalkomitees für die Geltendmachung der deutschen Schulden gegenüber Griechenland. Wie steht die deutsche Regierung zu diesen berechtigten Forderungen?

Aristomenis Syngelakis: Zuerst einmal möchte ich darauf verweisen, dass ich aus einer Familie stamme, die durch die faschistische Okkupationspolitik fast dreißig Angehörige verloren hat. Ich kann also mit aller Berechtigung sagen, dass die Forderungen des griechischen Volkes auf Wiedergutmachung bzw. Entschädigung auch mein ganz persönliches Anliegen sind. Ich will jetzt nicht alle Zahlen der deutschen Schulden auflisten, die sind bekannt und können nachgelesen werden. Es sind Forderungen, die durch das Pariser Reparationsabkommen von 1946 als unstrittig anerkannt wurden, deren Begleichung jedoch spätere Bundesregierungen in allen Jahrzehnten immer wieder verschoben haben. Ich finde es enttäuschend, dass bislang keine deutsche Bundesregierung bereit war und ist, die Berechtigung dieser Forderungen anzuerkennen. Worte der »Entschuldigung« haben wir zwar gehört, aber damit werden nicht die berechtigten Forderungen erfüllt. Stattdessen werden diejenigen, die an den Verbrechen beteiligt waren, in diesem Land geehrt und gewürdigt. Ich selber habe auf Einladung deutscher Antifaschisten mehrfach auf Protestveranstaltungen in Mittenwald gegen die Traditionstreffen der Gebirgsjäger gesprochen. Wir haben dort deutlich gemacht, dass sich hier diejenigen feiern, die für die Verbrechen in meiner Heimat verantwortlich sind. Diese Zusammenhänge heutigen jungen Menschen zu erklären, ist von großer Bedeutung. Und es war gut, dass dieses Thema bei der Ausstellungseröffnung klar angesprochen werden konnte.

Fragen an Aristomenis Syngelakis (Nationalkomitee für die deutschen Schulden), Christos Tzintsilonis (PEAEA) und Ulrich Schneider (FIR)

Die Fragen stellte Regina Girod