Demokratie wörtlich genommen

geschrieben von Ernst Antoni

27. September 2017

Der Antifaschist Oskar Neumann und die Remilitarisierung

Der Mann mit der grauen Löwenmähne und dem klitzekleinen Schreibblock, auf dem er in einem Mix aus lateinischen Buchstaben und Steno-Kürzeln festhielt, was ihm aufschreibens- und verkündenswert schien. Das Blöckchen hatte er dann in der Hand, wenn er ans Mikrophon trat und bei Aktionen und Kundgebungen der BRD-Friedensbewegung in den damaligen 70er- und 80er-Jahren oder bei Kongressen der VVN-BdA und anderer Organisationen seine pointierten Beiträge hielt.

Am 30. April dieses Jahres wäre Oskar Neumann 100 Jahre alt geworden. 30 Jahre vorher, zu seinem 70. Geburtstag, hatten ihm Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus verschiedenen Zusammenhängen ein kleines Collagenwerk mit individuellen Text- und Bild-Beiträgen gebastelt. Darin schrieb etwa Dieter Lattmann, Schriftsteller, langjähriger SPD-Bundestagsabgeordneter und wie Neumann in Bayern gerade heftig engagiert im Protest gegen die Stationierung neuer Atomraketen und gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage WAA in Wackersdorf, mit Blick auf Oskars Lebensweg: »Wer denkt heute noch daran, dass es in der ersten Legislaturperiode des Bundestages fünfzehn kommunistische Abgeordnete gab und dass damals niemand auf die Idee kam, daran gehe die ›Demokratie‹ zugrunde. Aber bald kamen sie auf die Idee. Mich hat immer diese Kontinuität in Deinem Leben beeindruckt, die Du Dir nicht ausgesucht hast. Aber sie war Deine Konsequenz. Nicht nur, aber auch dadurch bist Du eine Zeitfigur, ein Exemplar der deutschen Geschichte, lass mich ruhig sagen: ein Beispiel. Der Häftling von Buchenwald, der wie andere wieder einsitzen musste, weil er die versprochene Entmilitarisierung und die Demokratie wörtlich nahm. (…)«

Oskar Neumann, 1987, gezeichnet von Werner Marschall. Auch dies war ein Beitrag zur Text- und Bildsammlung zum 70. Geburtstag von Oskar Neumann. Zeichner wie Porträtierter waren damals Kollegen im gleichen Unternehmen: Oskar Neumann im Münchner Damnitz Verlag als Mitherausgeber der Literaturzeitschrift »kürbiskern« und der Buchproduktion des Verlages, Werner Marschall, Architekt und bildender Künstler, als Chefredakteur von »tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst«.

Oskar Neumann, 1987, gezeichnet von Werner Marschall. Auch dies war ein Beitrag zur Text- und Bildsammlung zum 70. Geburtstag von Oskar Neumann. Zeichner wie Porträtierter waren damals Kollegen im gleichen Unternehmen: Oskar Neumann im Münchner Damnitz Verlag als Mitherausgeber der Literaturzeitschrift »kürbiskern« und der Buchproduktion des Verlages, Werner Marschall, Architekt und bildender Künstler, als Chefredakteur von »tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst«.

Zu solcher »Kontinuität« ist, schaut man sich den aktuellen »Wikipedia«-Eintrag, Oskar Neumann betreffend, an, eher wenig Erhellendes zu erfahren. Abgesehen von der zweifellos richtigen einleitenden Feststellung: »Oskar Neumann (* 30. April 1917 in Nürnberg; † 2. April 1993 in München) war ein deutscher Chemie-Ingenieur, Publizist und Kommunist«. Danach geht es kreuz und quer – mit »Highlights«, die dem ähneln, was »Verfassungsschutz«-Autoren (nicht nur in Bayern) Antifaschistinnen und Antifaschisten auch heute gerne anhängen. Schon in den 80ern wurde Neumann in bayerischen VS-Berichten namentlich erwähnt. Weil er ja nicht nur als VVN-Landesvorsitzender und Friedensaktivist aufgefallen sei. Sondern überdies als Mitglied des Bezirksvorstandes Südbayern der DKP.

Als Sohn eines Juristen und höheren Reichsbahnbeamten macht er mit 19 am Humanistischen Gymnasium in Augs-burg ein hervorragendes Abitur. Oskars Vater allerdings wird wegen seiner jüdischen Herkunft und wegen »politischer Unzuverlässigkeit« seiner Ämter enthoben.

1938 stirbt der Vater, dem Sohn, der an der Münchner Universität studieren will, wird dort die Zulassung verweigert. Antifaschisten an der Technischen Hochschule in München machen es möglich, dass Oskar dort unterkommen und Chemie studieren kann. An der TH schließt er sich einer Gruppe Studierender an, die Kontakte zur »Weißen Rose« an der Universität hat und sich selbst den Namen »Wasser und Gas« gibt.

1944 wird Oskar Neumann verhaftet und ins KZ Buchenwald, in die Außenlager Tiefenort und Abteroda, verschleppt. In unterirdischen Stollen werden dort Häftlinge als Zwangsarbeiter geschunden – »Vernichtung durch Arbeit« für die Rüstungsindustrie. Als die Befreier näher rücken, sollen die Häftlinge liquidiert werden. Oskar gelingt mit anderen die Flucht und er schlägt sich nach München durch. Dort findet er seine Lebensgefährtin Liesl wieder, die er als Student 1940 in deren elterlichen Tabakladen kennen gelernt hat. 1946 heiraten sie und beide werden auch bald politisch aktiv.

Oskar schließt sich der Kommunistischen Partei Deutschlands an, vertritt diese als Stadtrat im Münchner Kommunalparlament, wird städtischer Korreferent für den Wiederaufbau. Er gehört zu den Gründern der Gewerkschaften und 1947 der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Auf die großen Hoffnungen auf einen Neubeginn in Frieden, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit folgt bald die Ernüchterung: Alte Nazis besetzen wieder wichtige Ämter, Antikommunismus wird Staatsdoktrin, der Kalte Krieg beginnt und mit ihm das Streben nach Wiederbewaffnung. Dagegen entwickelt sich eine breite Bewegung, an deren Spitze Oskar mitwirkt. An der Seite des Mitbegründers der CDU, Wilhelm Elfes, und des ehemaligen Reichskanzlers Dr. Josef Wirth ist er im »Hauptausschuss für die Volksbefragung gegen die Remilitarisierung« aktiv. Erneut wird er verfolgt. Die Adenauer-Justiz wertet sein Engagement als »Vorbereitung zum Hochverrat«, wieder wird Oskar eingesperrt.

Wegen der zunehmenden Repressionen gegen Kommunisten und andere Andersdenkende, die schließlich im KPD-Verbot 1956 gipfeln, müssen Liesl und Oskar ihre Heimat verlassen. Sie gehen für längere Zeit in die DDR. Dort kommt im Dezember 1959 ihr Sohn auf die Welt. Erst die politischen Klimaveränderungen nach 1968 machen der Familie eine Rückkehr nach München möglich.