Teil unserer Geschichte
13. November 2017
Die VVN im Visier staatlicher Verfolgung durch BRD-Behörden
Der Skandal um den Prozess Silvia Gingolds gegen das hessische Landesamt für Verfassungsschutz erinnert daran, dass sich die VVN schon seit den 50er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland im Visier staatlicher Überwachung und Verfolgung befindet.
Es begann damit, dass der VVN »vorgeworfen« wurde, dass sie sich – anders als die Adenauer-Administration – für die deutsche Einheit einsetze. Diese Einheit war aber nicht mit Westintegration und Wiederaufrüstung zu erhalten, sondern nur unter einem entmilitarisierten Status, wie ihn auch die DDR vorschlug. Somit wurde die VVN als »Landesverräterin«, die die »Geschäfte der Ostzone« erledigt, denunziert. Dass die VVN auch die offene Renazifizierung der BRD und ihrer Administrationen anprangerte, war ein weiterer Vorwurf.
Die Konsequenz war, dass in den »Blitzgesetzen«, den Berufsverboten der 50er Jahre, die VVN in die Liste der Organisationen aufgenommen wurde, deren Mitglieder nicht mehr im öffentlichen Dienst beschäftigt werden durften. Diese Verfolgung machte auch nicht vor rassisch Verfolgten und ehemaligen KZ Häftlingen halt, wenn sie nicht bereit waren, sich von der VVN zu distanzieren.
Doch es blieb nicht bei Angriffen gegen einzelne Mitglieder der Organisation. Schon im August 1951 erfolgte auch ein direkter Eingriff in die VVN. Auf Anordnung der Bundesregierung musste die hessische Polizei das in Frankfurt befindliche Büro des gesamtdeutschen Rates der VVN schließen. Hessen selbst ging nicht gegen die Landesvereinigung der VVN vor, aber der Angriff auf die gesamtdeutsche Struktur behinderte natürlich die politische Handlungsmöglichkeit der Organisation.
Als im Frühjahr 1953 in der DDR die VVN aufgelöst wurde, sahen die Rechtskräfte in der BRD die Möglichkeit, nun massiver gegen die Organisation vorzugehen.
Schon vorher liefen, verbunden mit den staatlichen Angriffen, Bestrebungen, die politische Breite der antifaschistischen Organisation zu zerschlagen. Mit erheblichen finanziellen Mitteln und organisatorischer Unterstützung des Bundesinnenministeriums wurden Austritte aus der VVN und die Neugründung einer regierungsnahen Verfolgtenorganisation vorangebracht. Der Vorwurf gegen die VVN lautete, sie sei eine »kommunistische Tarnorganisation«. Prominente Mitglieder wie Eugen Kogon und Georg Buch verließen die VVN.
Die praktische Konsequenz war, dass Mitglieder der VVN und die Tätigkeit der Organisation unter die Überwachung durch den neu geschaffenen Verfassungsschutz und seine Landesämter gerieten. Das Gründungspersonal dieser neuen Überwachungsinstitution waren »Spezialisten«, die schon der NS-Zeit bei der Polizei, der Gestapo und dem SD ihre Erfahrungen in der »Gegnerverfolgung« gesammelt hatten. Als nach dem KPD-Verbot 1956 VVN-Mitglieder wegen »Förderung kommunistischer Bestrebungen« zu Verhören einbestellt wurden, saßen sie oftmals denselben Personen gegenüber, die sie schon in der NS-Zeit verhört hatten.
Aufgrund des damals geltenden Vereinsgesetzes konnten die Landesvereinigungen der VVN nur durch die jeweiligen Länderregierungen verboten werden. Hamburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz preschten vor, wobei in Niedersachsen das Verwaltungsgericht das Verbot kippte. Selbst in Bayern urteilte das Verwaltungsgericht im Mai 1955, dass die VVN weder verfassungswidrig noch verboten sei.
Für ein Verbot der Bundesorganisation war die Bundesregierung zuständig. Innenminister Schröder (CDU) bereitete mehrere Jahre ein Verfahren vor. Das Innenministerium sammelte und publizierte Materialen, die den Charakter der VVN als »kommunistische Tarnorganisation« belegen sollten.
Da die VVN Teil der internationalen antifaschistischen Bewegung in der FIR war, legte man schon Ende der 50er Jahre – mit Unterstützung der amerikanischen Geheimdienste – eine Broschüre über internationale »kommunistische Tarnorganisationen« vor. Aufgelistet waren die FIR, der Weltbund demokratischer Jugend und Studenten, der Weltfriedensbund, der Weltgewerkschaftsbund und viele andere. Doch genau diese Verbundenheit führte auch dazu, dass der Prozess gegen die VVN unter starker internationaler Beobachtung stattfand.
Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, die Bundesregierung grenze mit diesem Verfahren ehemalige Verfolgte und Widerstandskämpfer gesellschaftlich aus, wurde als Vertreter der Anklage ein Jurist mit Verbindung zum 20. Juli 1944 ausgewählt. Doch auch diese Verkleidung half nichts, als der niedersächsische VVN-Sekretär August Baumgarte zu Prozessbeginn Dokumente vorlegte, die bewiesen, dass der Vorsitzende Richter Werner ein ehemaliger Nazijurist war. Damit war der Prozess geplatzt. Er wurde nicht wieder aufgenommen.
Die Überwachung der Organisation durch den Verfassungsschutz wurde damit natürlich nicht eingestellt, wie die Verfassungsschutzberichte vergangener Jahrzehnte zeigen.