Mein Zeuge

geschrieben von Ulrich Sander

16. November 2017

Der jüngste in Plötzensee ermordete Widerstandskämpfer

Es geschah vor 75 Jahren. Helmuth Hübener war 17 Jahre alt, als er am 27. Oktober 1942 in Berlin starb – hin-gerichtet durch das Fallbeil. Hübener war der jüngste aller 1574 in Plöt-zensee Ermordeten. Mit einer kleinen Gruppe Ju-gendlicher hockte Helmuth Hü-bener nachts vor dem Radio und hörte den britischen »Feind-sender« BBC. Sie tippten die Nachrichten ab, vervielfältigten sie auf einfachste Art: Immer wieder abschreiben mit vielen Durchschlägen. Die Flugblätter warfen Hübener und seine Freunde Karl-Heinz Schnibbe, Rudolf Wobbe und Gerhard Düwer in die Briefkästen der Hamburger Arbeiterviertel, klebten sie an Mauern und Laternen, steckten sie in die Manteltaschen frem-der Menschen.

Helmuth Hübener

Helmuth Hübener

Dass die Geschichte Hübeners bekannt wurde, daran arbeitete ich seit 1960. Sie-ben pralle Aktenordner liegen vor mir. Ich hatte durch Zufall Ende der 50er Jahre ein Heftchen der VVN aus dem Jahr 1948 in die Finger bekommen, das nichts anderes enthielt als die Abschrift des Urteils, mit dem der Volksgerichtshof den 17-Jährigen am 11. August 1942 wegen »Hochverrats« zum To-de verurteilte. Ich war von diesen brutal-nüchternen Juristenworten erschüttert und be-gann, das Leben Hübeners sys-tematisch zu erforschen.

Hübener wuchs in einem unpolitischen Elternhaus auf. Als die Nazis 1933 die Macht ergreifen, ist er acht Jahre alt. Später sagte ich einem Reporter der WAZ: »Was mich an ihm fas-ziniert, ist, dass er ohne poli-tisch vorgeprägt worden zu sein, die Verbrechen und die Unmenschlichkeit der Nazis erkannte. Er handelte völlig au-tonom.«

Hübeners Leben widerlegt daher die ewige Schutzbehauptung: Wir haben nichts gewusst. Dieser Junge wollte wissen, und er sah und erfuhr eine Menge. Ich schrieb Artikel und ein Buch über das Leben Hübeners – auch mit kuriosen Folgen. Ein Bericht, der 1967 in der Gewerkschaftszeitung »Deutsche Post« erschien, muss den Schriftsteller Günter Grass beeindruckt haben. In seinem 1969 erschienenen Roman »Örtlich betäubt« lässt er einen Schüler auftreten, der sich den 17-jährigen Hübener zum Vorbild nimmt. Er habe von Helmuth Hübener in der Gewerkschaftszeitung seines Opas gelesen, in der »Deut-schen Post«, lässt Grass den Schüler sagen. Der Autor war ich.

Auch zu Straßenumbenennungen zugunsten Hübeners und Wandbildern in Hamburg, ferner zur Umbenennung einer Schule in »Helmuth Hübener Schule« konnte ich beitragen. Das Logo der Barmbecker Schule lautet beziehungsreich: helMUTh hÜBENer schule«.

Letzte Worte Hübeners im Prozess: »Ich soll nun sterben, obwohl ich nichts verbrochen habe. Aber Ihr kommt auch noch dran.« Sie sind nicht dran gekommen, die Richter und Staatsanwälte; sie seien unbekannt, nicht auffindbar oder gestorben, wurde mir gesagt.

Die Frage, wieso ich mich seit Jahrzehnten um das Andenken Helmuth Hübeners bemühe, beantworte ich in Zeitzeugengesprächen mit einer Geschichte: Als Schüler las ich eine Reportage des kommunistischen Autors und Politikers der CSR Julius Fucik »Unter dem Strang«, geschrie-ben in Gestapohaft. Darin die Worte: »Die ihr diese Zeit über-lebt, vergesst nicht. Sammelt geduldig Zeugnisse von den Gefallenen. Sucht euch einen von ihnen aus und seid stolz auf ihn als einen großen Men-schen, der für die Zukunft ge-lebt hat.«

Ich suchte mir Helmuth Hübener aus.

Auch die Schicksale anderer junger Widerstandskämpfer wurden erforscht. Der Historiker Jürgen Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte in München hat weitere aus der kleinen Schar von unabhängig wirkenden »Rundfunk«-Widerständlern ausgemacht: Walter Klingenbeck (München) und Josef Landgraf (Wien) – allesamt »Rundfunkverbrecher«, die einige Helfer hatten. Diese »Rundfunkverbrecher« wurden von den Nazis als Feinde des Reiches behandelt, weil die die Rundfunkpropaganda des Auslands im Reich verbreiteten. Dies galt als Landesverrat, weil es die »Wehrkraft des deutschen Volkes zersetzte«. Die Gruppen haben die damals modernste Technik genutzt, gewissermaßen gezappt und gesurft. Klingenbeck wurde wie Hübener zum Tode verurteilt.

Zum Weiterlesen: Ulrich Sander, Jugendwiderstand im Krieg. Die Helmuth-Hübener-Gruppe 1942/1942, Pahl-Rugenstein Nachfolger Verlag Bonn 2002.