Wer schützt mich vor dem VS?

geschrieben von Silvia Gingold

16. November 2017

Persönliche Stellungnahme zum Urteil des VG Kassel vom 5.10.2017

Ich bin fassungslos und empört, dass das Gericht die Zulässigkeit meiner Beobachtung durch den VS im Urteil festgestellt und meine Klage abgewiesen hat. Das Gericht folgt in allen Punkten der Argumentation des VS. An keiner Stelle wird im Urteil gewürdigt, was mein Anwalt und ich im Verfahren dargelegt haben:

Auf dem Hintergrund meiner Familiengeschichte habe ich die durch meine antifaschistische Grundhaltung geprägte Einstellung zum Grundgesetz ausgedrückt und betont, dass mein bisheriges politischen Wirken darauf gerichtet war und ist, die Grund- und Menschenrechte zu verteidigen und alle gegen die Verfassung gerichteten rassistischen, ausländerfeindlichen und das Asylrecht in Frage stellenden Bestrebungen zu bekämpfen, wie es die Verfassung gebietet und wie ich dies als meine Pflicht ansehe.

Alles das ignoriert das Gericht: »Auf die subjektive Sicht der Klägerin kommt es nicht an«, heißt es im Urteil und an anderer Stelle wird dargelegt, dass es bei meinen Reden nicht um den Inhalt des Vortrags gehe, sondern in welchem Umfeld diese gehalten würden. Zu dem »linksextremistischen« Umfeld, das meine Überwachung rechtfertigen soll, zählt vor allem die VVN-BdA, jene Vereinigung, die von den Verfolgten des Naziregimes und den Widerstandskämpfern vor 70 Jahren gegründet wurde, um im Sinne des Schwurs von Buchenwald alles zu tun, die Erinnerung an die Naziverbrechen wach zu halten, damit sich Krieg und die unfassbaren Verbrechen der Nazis nie wiederholen. Seit Gründung bis an ihr Lebensende waren meine Eltern in dieser antifaschistischen Organisation aktiv tätig.

Als Beleg für meine Unterstützung »linksextremistischer« Personenzusammenschlüsse heißt es im Urteil: »Hierbei zieht das Gericht in Betracht, dass die Klägerin wegen der relativen Bekanntheit ihres Namens als Tochter eines Widerstandskämpfers gegen den Nationalsozialismus quasi als Magnet für Personen gewirkt hat, die den Zielen der Veranstalter eher ferngestanden haben.«

Das Gericht schreckt auch nicht davor zurück, die Beobachtung und Dokumentierung meiner Lesungen aus der Biographie meines Vaters durch den VS als zulässig zu erklären, weil dies nach seiner Auffassung in einem »linksextremistischen« Umfeld geschieht.

Im Urteil heißt es dazu: »Linksextremismus steht im Allgemeinen als Sammelbegriff für verschiedene Strömungen und Ideologien innerhalb der politischen Linken, die die parlamentarische Demokratie und den Kapitalismus ablehnen und durch eine egalitäre Gesellschaft ersetzen wollen. ….Solche Personen richten sich damit gegen die Grundbestandteile der Freiheitlich demokratischen Grundordnung. Teile der betreffenden Szene verfolgen ihre Ziele im Übrigen auch unter Anwendung von Gewalt«. Eine antikapitalistische Haltung wird gleichgesetzt mit der Ablehnung der parlamentarischen Demokratie und somit als »linksextremistisch« diffamiert.

Dieses Urteil beschädigt nicht nur das Ansehen meiner Person. Es richtet sich gegen demokratisch engagierte Bürgerinnen und Bürger die sich gegen Kriege, gegen Rassismus, Neonazismus und Nationalismus zur Wehr setzen. Diesen Aktivitäten wird der Stempel des »Linksextremismus« aufgedrückt und damit dem VS der Freibrief ausgestellt, diese Personen zu bespitzeln und Daten über sie zu sammeln und zu speichern.

Angesichts des Umgangs mit dem Rechtsterrorismus und den NSU-Morden, deren Aufklärung der Inlandsgeheimdienst behindert, da er selbst darin zutiefst verstrickt ist, empfinde ich das als Skandal.

Über Helfer der rechtsterroristischen Szene hält der VS seine schützende Hand, wie beispielsweise im Falle Temme.

Wer schützt mich vor dem Verfassungsschutz? Das Gericht hat es nicht getan.