Das Doppelleben einer Armee

geschrieben von Ulrich Sander

8. Februar 2018

Ihre Tradition soll auf 60 Jahre verkürzt werden

Es fing damit an, dass Franco A., Oberleutnant, verhaftet wurde. Ein Neonazi, der sich als falscher Flüchtling aus Syrien ausgab, »islamistische Attentate« plante. Er hatte Waffen und Munition bei der Bundeswehr gestohlen. In Deutschland und Frankreich abwechselnd stationiert, fiel es nicht auf, dass er in einer Migrantenunterkunft lebte. Ein Plan mit den Namen zu liquidierender Politiker wurde bei ihm gefunden. Da die genauen Angaben zu den Attentatsplänen fehlten, fand sich ein Untersuchungsrichter, der ihn freiließ, doch die Bundesanwaltschaft erhob dennoch Anklage. Er habe »schwere staatsgefährdende Gewalttaten« geplant.

Dort, wo Franco A. sich im französischen Illkirch aufhalten sollte, fand man ein sogenanntes Traditionszimmer mit allerlei Devotionalien aus Hitlers Wehrmacht. Das Übliche. Doch es rief die Bundeswehrministerin auf den Plan, die glaubte, mit einem neuen Traditionserlass der Rechtsentwicklung der Truppe beizukommen. Der Entwurf liegt nun vor.

Der Oberleutnant führte ein Doppelleben, die Bundeswehr auch. Und dies von Beginn an. Sie hatte ein Konzept zur Inneren Führung und predigte den »Staatsbürger in Uniform«. Diese demokratischen Staatsbürger wurden von der Demokratie fremden Offizieren angeführt. Bei Gründung der Truppe bestanden diese darauf, dass die Wehrmachtstradition nicht angetastet würde und die Nazikriegsverbrecher Absolution bekämen.

Der letzte Traditionserlass stammte aus dem Jahre 1982, unter SPD-Ministerschaft beschlossen. In dem neuen Entwurf ist viel Allgemeines zu lesen: »Tradition ist der Kern der Erinnerungskultur der Bundeswehr«. Sie soll »Einsatzwert und Kampfkraft« erhöhen. Werte und Vorbilder, die »sinnstiftend sind« werden betont. Auf der Grundlage des Grundgesetzes wird eine »kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit« angestrebt.

Sowohl die Wehrmacht als auch die Nationale Volksarmee seien nicht sinnstiftend. Das hörte man 1990 in Strausberg anders. Als die »Wende« 1990 auch die Truppe erreichte, da wurden die Kasernen im Westen nicht umbenannt, die im Osten verloren ihren Namen. Kasernen im Westen behielten ihre reaktionären Bezeichnungen, die antifaschistischen Namensgeber im Osten fielen weg. Wenn die Ministerin anordnet, eine Tradition ganz auf die Zeit seit der Bundeswehrgründung zu beziehen, so muss dies – wie jetzt ersichtlich – zur Vorbildfunktion der ehemaligen Hitlergenerale führen, die bisweilen Schwierigkeiten hatten, in Frankreich oder Belgien, d.h. in der Nato, zu dienen, weil sie dort als Kriegsverbrecher verurteilt waren.

Die »Armee der Demokratie« dürfe in den Kasernen Nazisymbole, »insbesondere das Hakenkreuz« nicht zeigen, heißt es jetzt. »Ausgenommen davon sind Darstellungen, die der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der politischen oder historischen Bildung dienen«. Auch dienstliche Kontakte mit Nachfolgeorganisationen der Waffen-SS oder der Ritterkreuzträger sind tabu. Klar, die rechten Zeitzeugen sind ja zumeist nicht mehr unter den Lebenden.

Während im noch geltenden Erlass zu lesen ist, dass ein »Unrechtsregime wie das Dritte Reich«, keine Tradition begründen kann, liest man es nun so ähnlich. Indem aber die NVA auf eine Stufe mit der Wehrmacht gestellt wird, kann dies leicht zur Verharmlosung ja Reinwaschung der faschistischen Armee des Vernichtungskrieges führen. Das Preußentum ist sinnstiftend, das Nationalkomitee Freies Deutschland nicht.

Von einem verbrecherischen Angriffskrieg, den die Wehrmacht maßgeblich vorantrieb, oder vom Holocaust ist nichts zu lesen. Wohl aber formulierte man Ausnahmen: »Grundsätzlich möglich« sei die Aufnahme »einzelner Angehöriger der Wehrmacht in das Traditionsgut der Bundeswehr«. Voraussetzung ist eine »sorgfältige Einzelfallbetrachtung und Abwägung, die die Frage persönlicher Schuld einschließt sowie eine Leistung zur Bedingung macht, die vorbildlich oder sinnstiftend in die Gegenwart wirkt«. Gemeint ist »die Beteiligung am militärischem Widerstand gegen das NS-Regime« oder besondere Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr. Da können dann Molinari; Foertsch und de Maizière Senior sowie der Ermittler gegen die 20.-Juli-Offiziere und Amt-Blank-Berater, Guderian »sinnstiftend« bleiben, die Deserteure, die 1945 nicht mehr mitmachten und zu Tausenden ermordet wurden, nicht. Was ist mit Heusinger oder Speidel, die bei der Wiederbewaffnung als Fachleute unentbehrlich waren? Was wird aus der Feldmarschall-Rommel-Kaserne? Hitlers Fliegerass Steinhoff wurde Inspekteur der Bundesluftwaffe. Sie alle können ja wohl nicht aus der »Tradition« gestrichen werden.

Bemerkenswert ist: Traditionspflege und historische Bildung »sind Führungsaufgaben« und liegen in der Verantwortung der Inspekteure sowie der Kommandeure und Dienststellenleiter. Da lässt sich die Parlamentsarmee auch nicht vom Parlament hineinreden.

Und was wird aus den Helden der Bundeswehr, die sich als Kriegsverbrecher der Gegenwart etablierten? Der Massenmörder vom Kundus im Jahre 2009, Oberst Klein, wurde zum Brigadegeneral befördert und wurde für die Ausbildung in der Bundeswehr zuständig. Wird nach ihm nun im Rahmen der Traditionsstiftung aus eigener Geschichte heraus eine Kaserne benannt?