Mein Großvater

geschrieben von Martin Michalik

8. Februar 2018

Zum 100. Geburtstag von Roman Rubinstein

Dass mein Großvater gegen die Nazis gekämpft hat und aus diesem Kampf schwere Verletzungen davongetragen hat, das wusste ich schon als kleines Kind. Ich konnte es an den nicht richtig verheilten Wunden an seinen Beinen sehen, wusste, dass seine Taubheit daher rührte. Ich konnte damit aber nichts anfangen oder ich traute mich nicht, damit etwas anzufangen und darauf angesprochen habe ich ihn nie. Das bedeutete aber nicht, dass er nicht erzählt hätte. Er hat einfach nicht den ersten Schritt gemacht. Diese Sprachlosigkeit, auch der erschwerten Kommunikation aufgrund seiner Taubheit geschuldet, umgab ihn für mich mit einer Aura. Dazu trug nicht zuletzt der Respekt und die Achtung bei, die ihm entgegengebracht wurden. Meine Großmutter beschrieb ihn immer wieder als Abenteurer, für mich war er mal ein witziger, zuweilen alberner aber auch ein harter und prinzipieller Großvater.

Flyer zum Symposium >>100 Jahre Roman Rubenstein<<

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Ein Abenteurer musste er gewesen sein. Anders ist nicht zu erklären, wie er mit 16 Jahren auf der Flucht vor den Nazis ins Exil nach Frankreich gehen konnte, um dann fest überzeugt von dort aus als Kurier Propagandamaterial ins Deutsche Reich zu schleusen. Gerade auch die Entscheidung, ohne Netz und doppelten Boden, gegen den ausdrücklichen Befehl seiner Partei, der KPD, 1936 nach Spanien zu gehen und dort prompt im Bataillone Etgar André an einem Kampf um Madrid teilzunehmen, erscheint mehr als abenteuerlich. Nur die Fürsprache Artur Beckers rettete ihn nach seinem Auffliegen vor einer empfindlichen Strafe.

Witz brauchte er für seine Widerstandsarbeit im besetzten Frankreich. Als er aufgrund seiner polnischen Papiere 1939 zur polnischen Armee eingezogen wurde und in den Finnisch-Sowjetischen Krieg gegen die Rote Armee ziehen sollte, konnte er seinen vorgesetzten Offizier überreden, an einem Abend mit ihm etwas trinken zu gehen. Roman kannte die Pariser Lokale und überzeugte ihn, dass sie ihren Absinth nicht mit Wasser zu verdünnen bräuchten. Echte polnische Kehlen vertrügen das. Während der Offizier also zum großen Schluck ansetzte, nippte Roman nur. Nachdem der Kopf des anderen auf den Tisch gefallen war, überließ er ihm die Rechnung und machte sich aus dem Staub. Später konnte er sein Desertieren durch französische Papiere legitimieren.

Dieser Witz war aber mit Disziplin und enormer Beherrschung verbunden, die nicht zuletzt durch die Anspannung im Widerstandskampf entstanden war. In seiner geheimdienstlichen Arbeit war er auf einem Flugplatz der Wehrmacht eingesetzt und hatte sich für diese Arbeit einen Ausweis als Wehrmachtsoffizier mit der Identität eines Barons verschafft. So konnte er mit seiner Partnerin Charlotte und einer Freundin, die wohl Lehrerin war, abends Cafés aufsuchen, die natürlich auch von Wehrmachtssoldaten frequentiert wurden. An einem Abend machten Soldaten gegenüber Romans Begleitungen unflätige Bemerkungen. Daraufhin stand Roman auf ging an den Tisch grüßte die Soldaten mit einem ‚Heil Hitler‘ und verbat sich mit dem Verweis darauf, dass von deutschen Soldaten ein anderes Benehmen an den Tag zu legen sei dieses Verhalten. Es soll nicht lange gedauert haben, da kam einer von diesem Tisch zu ihnen, stellte sich als Offizier der Marine vor und entschuldigte sich für das Verhalten. Er nahm Platz und die vier wurden gute Bekannte, auch, da dieser Offizier mit der Freundin von Roman anbändelte.

Es stellte sich heraus, dass er für die Versorgung der Marine an der Atlantikküste verantwortlich war. Und wie es der Zufall wollte, hatte die »Lehrerin« ein Haus in der Sperrzone. Sie überzeugt ihn, dass man das doch mal besuchen könnte, er bekäme ja immerhin eine Erlaubnis. Roman nutzte dieses ›romantische‹ Wochenende im Krieg, um mit einer kleinen Kamera, einem Bleistift und Papier die U-Boot-Bunker der Deutschen auszuspionieren. Da die Sowjets keine Möglichkeiten hatten, diese Informationen zu ‚verwerten‘ wurde er nach London geschickt, stellte seine Erkenntnisse den englischen und französischen Militärs vor und wurde dann mit Material für den Widerstand auf eigenen Wunsch zurückgeflogen.

»Man kann nicht ewig illegal leben« sagte er später über seine Verhaftung 1943. Zum Tode verurteilt, gelang es ihm mithilfe seiner Kontakte, auf einen Transport in das KZ Mauthausen gesetzt zu werden. Überlebt hat er diese Hölle nur mit Glück. Aber auch sein Hass gegen die Nazis ließ ihn Unmenschliches ertragen, in der Überzeugung, dass sein Leben, das eines Kommunisten, nicht billig zu haben sei. Überlebt hat er aber auch durch die Kraft der Solidarität. Er kannte viele Menschen und er traf in Mauthausen Kameraden wieder. Als er per Giftspritze getötet werden sollte, zog ihn ein befreundeter Spanier auf die Seite derjenigen, die nicht ermordet werden sollten.

Ich erinnere mich an ihn, wenn mir einmal etwas schwerfällt. Roman war ein Optimist. Ein Mensch der daran geglaubt hat, dass sich alles zum Guten wendet, wenn ein Mensch dafür kämpft, auch wenn er dafür sterben muss. Solange sich jemand einsetzt, solange jemand kämpft, ist nichts verloren.

Martin Michalik ist Vorsitzender des Deutschen Mauthausen Komitees Ost e.V.