Mörderische Kontinuitäten

geschrieben von Ernst Antoni

8. Februar 2018

Ausstellung »Nie wieder. Schon wieder. Immer noch« in München

»Das Klima in Deutschland hat sich verändert. Die Grenzen des Sagbaren haben sich verschoben, extrem rechtes Gedankengut ist bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen.« So der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München, Dieter Reiter (SPD), in seinem Geleitwort zu Ausstellung und Katalog »Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945«.

Ende November vergangenen Jahres eröffnet, wird die materialreiche Sonderausstellung noch bis zum 2. April 2018 als Ergänzung der ständigen Ausstellung über die Vor- und Frühgeschichte des NS-Regimes und dessen massenmörderische Praxis im Münchner NS-Dokumentationszentrum zu sehen sein. »Ausstellung und Begleitband«, schreibt Reiter, »führen eindrücklich vor Augen, dass rechtsextreme Ideologien und Gewalttaten nicht mit dem Unrechtsregime des Nationalsozialismus untergingen, sondern – in unterschiedlicher Intensität und unterschiedlichen Ausformungen – fortleben und die Geschichte der Bundesrepublik und des wiedervereinigten Deutschlands bis heute begleiten und mitprägen«.

Winfried Nerdinger (Hrsg.): Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945, 280 Seiten, 34 Euro Katalog zur Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum München. Softcover-Ausgabe im Museum: 28 Euro. Metropol Verlag Berlin

Winfried Nerdinger (Hrsg.): Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945, 280 Seiten, 34 Euro
Katalog zur Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum München.
Softcover-Ausgabe im Museum: 28 Euro. Metropol Verlag Berlin

Zu diesem »Fortleben« gibt es, chronologisch angelegt und nach Jahrzehnten gegliedert, eine beachtliche Fülle von Betrachtungs- und Lesestoff, der auch Interessierte, die sich seit langer Zeit wissenschaftlich und/oder politisch mit der Materie intensiver befasst haben, vielfach verblüfft. Obwohl Winfried Nerdinger, der Direktor des NS-Dokumentationszentrums, einschränkend ausführt: »Diese Chronologie kann keine erschöpfende Aufzählung aller Daten und Fakten sein, sie macht vielmehr die wesentlichen Erscheinungen anhand von ausgewählten, auf München und Bayern fokussierten Bildern und Dokumenten visuell und in begleitenden Bildtexten erfahrbar.«

Dies allerdings geschieht in beeindruckender Vielfalt, unterstützt durch die Methode, die Exponate inhaltlich in zwei Ebenen anzuordnen: Unten werden Personen, Parolen, Straf- und Gewalttaten und Sonstiges aus extrem rechten Spektren unterschiedlicher Art im Lauf der Jahrzehnte seit 1945 gezeigt. Darüber dann, in zeitlicher Zuordnung , wo und wann es Protest, demokratische Gegenwehr oder andere Vorgehensmaßnahmen gegen diese Entwicklungen gegeben hat. Ob und wann so etwas überhaupt stattgefunden hat – und ob sich so etwas eventuell da und dort weiter auf politische und gesellschaftliche Verhältnisse ausgewirkt hat.

Bei bereits ein wenig in die Jahre gekommenen Betrachterinnen und Betrachtern wird da doch die eine oder Erinnerung geweckt – vor allem, wenn sie an damaligen Auseinandersetzungen selbst irgendwo beteiligt waren. Und der Ausstellungstitel, der ja mit seinem »Nie wieder. Schon wieder. Immer noch« schon etwas über das chronologisch in der Schau zu Erwartende vorweggenommen hatte, findet in manchen der dokumentierten Ereignisse und Fakten eine ziemlich erschütternde Bestätigung.

Und dennoch: Die Konfrontation der mörderischen Kontinuitäten mit dem Widerstand dagegen, dessen manchmal doch – wie aus zahlreichen Bildern und Texten ebenfalls ersichtlich wird – beachtliche Breite und Vielfalt, helfen mit, dem Motto der Dauerausstellung des Hauses, das da heißt: »Das geht jeden heute noch etwas an«, einen ergänzenden Schub zu geben. Hierzu trägt nicht zuletzt auch das räumliche Finale dieser Sonderausstellung bei, in der unter dem Obertitel »Ideologie« auf dreieckigen Stelen in Bild und Text dokumentiert ist, worum es damals wie heute inhaltlich geht: »Kern rechtsextremistischer Ideologie ist die Vorstellung von der Ungleichwertigkeit von Menschen und Völkern. Rechtsextremismus steht damit in krassem Widerspruch zu den Grund- und Menschenrechten, die dem Gleichheitsprinzip verpflichtet sind.«

Mit einer Fülle historischer, mehr aber noch aktueller Beispiele – neofaschistische, rechtspopulistische und andere diesem Spektrum zuzuordnende Äußerungen und Handlungen betreffend – gibt dieses Infosäulen-Arrangement wichtige Orientierungshilfen für Auseinandersetzungen in Gegenwart und Zukunft. Gegliedert nach folgenden Schwerpunkt-Begriffen: »Nationalchauvinismus«, »Antidemokratisches Denken«, »Geschichtsrevisionismus«, »Antisemitismus«, »Fremdenfeindlichkeit«, »Rassismus«, »Islamfeindlichkeit«, »Antiziganismus«, »Sozialdarwinismus« und »Sexismus«.

Bleibt zu hoffen, dass bis zum April noch viele, vor allem auch junge Menschen den Weg zu dieser spannenden Ausstellung finden. Seit einigen Monaten heißt der Platz vor dem Gebäude ja nun »Max-Mannheimer-Platz«. Zur Erinnerung an den vor etwas über einem Jahr verstorbenen Holocaust-Überlebenden und jahrzehntelang engagierten Zeitzeugen. Unser Freund Max wäre von diesem vom NS-Dokumentationszentrum in Kooperation mit der Fachstelle für Demokratie der Landeshauptstadt München und der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle e.V. (a.i.d.a.) erstellten Aufklärungswerk mit Sicherheit ebenfalls beeindruckt gewesen.