So einer ein Weltbürger?

geschrieben von Ernst Antoni

8. Februar 2018

An und mit Oskar Maria Graf immer wieder lernen

Ein halbes Jahr lang ist er 2017 so dagestanden. Überlebensgroß, in kurzer Lederhose mit Kniestrümpfen und Trachtenjanker, hat Oskar Maria Graf runtergeschaut und die Leute in den Blick genommen, die sich vor dem »Literaturhaus« in Münchens Innenstadt tummelten. Mit dem Fassaden-Foto wurde für die anlässlich seines 100. Todestages dort gezeigte Ausstellung über sein Leben und Werk geworben. Und ein bisschen auch für das zum »Literaturhaus« gehörende Lokal. Eine »Brasserie«, die sich seit geraumer Zeit dem Dichter zu Ehren »Oskar Maria« nennt und die unter anderem ihr eher edles Essgeschirr mit Graf-Zitaten dekoriert hat.

Das Graf-Bild über der »Literhaus«-Terrasse entwickelte sich rasch zu einem beliebten Motiv für Selfie-Artisten und sonstige Fotografinnen und Fotografen aus aller Welt. Typically Bavarian halt…Ob den Porträtierten diese arg oktoberfestliche Einordnung erfreut hätte, sei dahingestellt. Wer dann allerdings den Weg nicht nur über die Kneipenschwelle fand, sondern auch in die Ausstellung, konnte dort – mehrsprachig dargeboten – einiges dazulernen.

Beginnend mit dem Titel: »Oskar Maria Graf – Rebell, Weltbürger, Erzähler«. Und dem mehr als aktuellen Bezug dieser Biographie: »Die Lebensgeschichte des bayerischen Rebellen Oskar Maria Graf (1894–1967)«, so die Veranstalter, »ist eine Geschichte der Emigration. Seine langjährige Staatenlosigkeit und sein Rückzug in die sprachliche Isolation bieten Anknüpfungspunkte für die heutigen weltpolitischen Fragen nach Flucht und Asyl.

Die Ausstellung zeigt Oskar Maria Graf als internationalen und modernen Schriftsteller. Im Mittelpunkt steht sein Leben und Schreiben in den Jahren des Exils und die Frage nach der ‚wahren Heimat‘. Oskar Maria Graf und seine Frau Mirjam lebten von 1933 bis 1938 in Wien und Brünn und ab 1938 in New York.«

Besonders deutlich wurde das mit dem Exil-Bezug, als im Herbst auf dem Platz vor dem »Literaturhaus«, quasi unter »Schirmherrschaft« Oskar Maria Grafs, eine große Kundgebung gegen aktuelle Abschiebungen stattfand. Ausgegangen war dieses Vorgehen gegen junge Asylbewerber und der damit verbundene Polizeieinsatz – auch gegen Berufsschülerinnen und Berufsschüler, die sich mit ihren betroffenen Mitschülern solidarisierten – vom bayerischen Kultusministerium, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft des »Literaturhauses« befindet.

Die Ausstellung, über die Monate begleitet von einem umfangreichen vielfältigen Programm, wartete multimedial mit zahlreichen Seh- und Hörhilfen auf und brachte so sicherlich den Gewürdigten vielen Interessierten näher. Weit über das Lederhosen-Klischee hinaus, an dem er wohlbedacht – von Moskau 1934 bis New York und in seine erst in den späten 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wieder ab und zu aufgesuchten bayerischen Geburts- und Heimatorte – auch selbst gearbeitet hatte. Stand er doch nicht nur für all das, was im Ausstellungstitel festgehalten ist, sondern war er auch einer, der wusste, dass Leben und Überleben der einen oder anderen eigenständigen PR-Maßnahme bedürfen.

Auch so etwas verursacht bis heute Rezeptions-Probleme, wenn es um den -großen Schriftsteller Oskar Maria Graf geht. Je nach Gesellschaftsordnung und gerade aktuellem Trend standen Schubladen bereit, in die der Autor abgelegt wurde. Am liebsten als bajuwarisches Kuriosum. Politisch als, nach jeweiliger Pro- oder Contra-Ausrichtung, eher anarchistisches oder prokommunistisches Schriftsteller-Phänomen. Viel lieber aber lange als Lederhosen-Pornograph (»Das bayerische Dekameron«) und noch als manch anderes. Nur als eines eher selten: Als ernsthafter, sich selbst und seine Umwelt genau beobachtender Literat.

Oder gar als humanistischer Weltbürger, der stets dann nicht nur zu schreiben, sondern auch zu handeln wusste, wenn er das Gefühl hatte, das sei jetzt unumgänglich. Auch wenn es ihm selbst da oft ziemlich dreckig ging und er sich vielleicht gerade damit die Chance verbaute, aktuellen Miseren ein wenig zu entkommen.

Am Berühmtesten ist hier sicher sein Aufruf »Verbrennt mich!« geworden, der am 12. Mai 1933 in der Wiener »Arbeiterzeitung« zu lesen war, als Graf während einer Lesereise in Österreich hatte erfahren müssen, dass die Nazis einige seiner Werke von ihrer Bücherverbrennung ausgenommen hatten. In der Hoffnung, ihn vielleicht doch noch als »Blut-und-Boden«-Dichter vereinnahmen zu können.

Unopportunistisch resistent blieb Oskar Maria Graf, der »Bayer in New York«, danach auch weiterhin. Gleich nach der Befreiung 1945 etwa mit der konkreten, auch materiellen, Solidarität mit überlebenden Widerständigen und Verfolgten in seinem ursprünglichen Herkunftsland. Darüber und noch über vieles mehr war im vergangenen Graf-Gedenkjahr einiges zu hören, sehen und lesen. Hoffen wir, dass das auch weiterhin und noch intensiver der Fall sein wird.