Ein Jahrhundertschicksal
26. März 2018
Ivan Moscovich zu Gast in Hannover
Geboren 1926 in der seit 1918 jugoslawischen Vojvodina in einem bürgerlichen jüdischen Elternhaus, aufgewachsen in der multikulturellen Hauptstadt Novi Sad, erlebte er eine friedliche und glückliche Kindheit und frühe Jugend. Angeregt durch seinen Cousin, den später weltberühmten Mathematiker Paul Erdös, fand er früh seine Liebe zur Mathematik.
Der zunehmende Einfluss des faschistischen Deutschlands und des faschistischen Ungarns verschärfte die nationalistische und antisemitische Hetze auch in Novi Sad. 1941, nach dem Überfall auf Jugoslawien und der ungarische Besetzung, gipfelte sie im Januar 1942, nach der »Razzia«, in den unsäglichen Massenmorden vor allem an Juden und Serben. Sein Vater und zahlreiche Freunde wurden dabei ermordet, er überlebte mit nur wenigen Anderen. Die scheinbare Normalität der folgenden Zeit endete mit der deutschen Besetzung Ungarns und der darauffolgenden Deportation der Juden nach Auschwitz.
Ivan Moscovich hat Auschwitz und den Todesmarsch nach Bergen-Belsen überlebt. Dem Typhus dort entkam er in einem Arbeitskommando zur Trümmerräumung in Hildesheim. Dort ernährte er sich tagelang von verkohltem Zucker aus einem Waggon. Danach das KZ Hannover Ahlem – eine der letzten faschistischen Wahnsinnsideen – die Fortsetzung der Kriegsproduktion der »Continental« in einem Asphaltstollen. Beim Herannahen der Alliierten der 2.Todesmarsch nach Bergen-Belsen und dort seine Befreiung buchstäblich auf Leichen.
Liebevolle Pflege und Erholung in Schweden, Rückkehr nach Novi-Sad und dort, nach Ausbildung zum Techniker, aktiv im Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur Jugoslawiens. Dann die Zulassung zum Ingenieurstudium, das er mit Diplom abschloss.
Als seine ebenfalls überlebende Mutter nach Israel auswanderte, hielt ihn nichts mehr in dem Land seiner schrecklichen Erinnerungen. So siedelte auch er nach Israel über, allerdings, um auf diesem Wege England zu erreichen, ein Traum, der sich zunächst nicht erfüllte. Dafür Arbeit an wissenschaftlichen Projekten und einem Programm zur Vermittlung wissenschaftlicher Grundkenntnisse für Menschen verschiedenster sprachlicher Herkunft mit visuellen Mitteln. Dann die große Aufgabe zur Einrichtung des Wissenschaftsmuseums mit dem Lasky-Planetarium in Tel Aviv. Und die große Liebe zu Anita, einer Überlebenden aus Polen, mit der noch heute glücklich verheiratet ist.
Zwei weitere Tätigkeitsbereiche verschafften ihm Weltgeltung: Einmal die Konstruktion des Harmonographen, einer programmierbaren mechanischen Zeichenmaschine, mit der sich komplexe ästhetische Schwingungsmuster herstellen lassen, zum anderen die Entwicklung von Rätselspielen und dynamischen mathematischen Demonstrationsmodellen zur Verwirklichung seines Programms zum »lebenslangen Lernen«, die ihm den Namen Rätselmann eintrugen. Auf dieser Grundlage gründete er schließlich in London eine neue Existenz.
Er entschloss sich 2014 nach langem Zögern, diese Lebensgeschichte in allen ihren zunächst entsetzlichen und später ermutigenden Details aufzuzeichnen. Sie wurde nun in der Schriftenreihe der Gedenkstätte Hannover- Ahlem in einem liebevoll gestalteten und reich illustrierten Band herausgebracht. Er enthält auch ein hochinteressantes und vielschichtiges Vorwort des Autors zur Problematik solcher Aufzeichnungen und der Rezeption der historischen Ereignisse. Entschieden distanziert er sich dabei von allen Versuchen, andere Schreckensregime, wie etwa das sowjetische Lagersystem, mit den Vernichtungslagern des Nazifaschismus gleichzusetzen. Zwei Nachbetrachtungen geben Einblicke in den historischen Kontext.
Am 28. Januar 2018, aus Anlass des Jahrestags der Befreiung des Lagers Auschwitz, wurde dieser Band in Gegenwart des Autors und seiner Gattin vorgestellt. Begleitet wurde die Veranstaltung durch die Eröffnung einer opulenten Ausstellung seiner Harmonogramme, die die Vielfalt der künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten dieses Mediums zeigt. Nach einem engagierten Grußwort von Hauke Jagau, Präsident der Region Hannover, hielt Ivan Moscovich eine eindrucksvolle Rede.