Verschiedene Kriege?

geschrieben von Regina Girod

29. März 2018

Was Geschichtsbücher heute über den 2. Weltkrieg schreiben

Eine einfache, doch überraschende Idee: aktuelle Geschichtsbücher weiterführender Schulen aus Tschechien, Deutschland, Italien, Polen, Litauen und Russlands danach zu befragen, wie sie den 2. Weltkrieg behandeln und anschließend mit ihren Erklärungen und Fotos eine nach Themen geordnete Ausstellung zu gestalten. Das jeweilige Geschichtsbuch vor den Tafeln ausgelegt, damit die Besucher selbst nachschlagen können.

Diese wirklich erhellende Ausstellung des EU-Russia Civil Society Forums war sechs Wochen lang im Museum Berlin Karlshorst zu sehen, jener großen Villa, in der am 9. Mai 1945 die Kapitulation der Deutschen Wehrmacht vor den Alliierten Siegermächten unterzeichnet wurde.

Im Titel »Different Wars« ist bereits das Ergebnis zusammengefasst: die Sichten sind so unterschiedlich, dass man annehmen müsste, hier sei von verschiedenen Kriegen die Rede. Beim Vergleich der Darstellungen auf den nebeneinander angeordneten Tafeln, drängen sich dem Betrachter die Intentionen der Schulbuchverfasser geradezu auf, die bei der Beschäftigung mit einem einzelnen Buch meist verborgen bleiben. Genau das ist auch das Anliegen der Ausstellungmacher, die auf dem Beiblatt zur Ausstellung formulieren (der Katalog liegt leider nur in Englisch vor): »Schulbücher vermitteln das Wissen, das die jeweilige Gesellschaft an die nächste Generation weitergeben möchte. Staaten benutzen sie als Instrument für staatsbürgerliche Erziehung, indem sie Narrative konstruieren, die Identitäten fördern, den sozialen Zusammenhang stärken oder sogar Herrschaft legitimieren. Geschichtsbücher vermitteln den Geist ihrer Zeit und sind Ausdruck der Kultur, in der sie geschrieben werden.«

Es gibt sie also nicht, die ewig wahre, ungeschminkte, wissenschaftlich abgesicherte Geschichtsdarstellung. Was es gibt, sind geschichtliche Fakten. Doch schon ihre Auswahl, Einordnung und Bewertung ist subjektiv und im Fall von Lehrbüchern zusätzlich immer ideologischen Kriterien unterworfen. Neu ist diese Feststellung zwar nicht. Schon Karl Marx ordnete das Geschichtsbewusstsein dem Bereich der Ideologie zu und postulierte, dass die herrschenden Gedanken in einer Gesellschaft immer die Gedanken der Herrschenden sind. Allerdings gehört diese Erkenntnis auch heute, 170 Jahre später, keineswegs zum Allgemeinwissen. In Zeiten verstärkter Rückgriffe auf nationale Identitätsmuster dürfte ihre Verbreitung zudem weiter sinken.

Zur Finissage der Ausstellung fand im Kapitulationssaal des Museums eine Podiumsdiskussion mit Geschichtslehrern- und didaktikern aus Russland, Tschechien und Deutschland statt. Ihr Titel: Wie kommt die Geschichte ins Schulbuch? Ein freundliches Gespräch auf der Metaebene, das sicher spannender verlaufen wäre, hätte man sich der Frage gestellt, welche Sicht auf den 2. Weltkrieg in den ausgestellten Schulbüchern der drei Länder heute vermittelt wird und welche Intentionen dahinter stehen könnten. Doch die subversive Grundidee der Ausstellung fand keinen Wiederhall bei den Diskutanten. »Lehrer sind immer abhängig vom Staat«, bemerkte die russische Vertreterin an einer Stelle. Das jedenfalls hat sich als wahr erwiesen.