Kämpfe um Anerkennung

geschrieben von Rosel Vadehra-Jonas

15. Juni 2018

Eine Dissertation über Ravensbrückerinnen in Ost und West

Mit seiner Dissertation nahm sich der Historiker Henning Fischer ein außergewöhnliches Thema vor, Die Arbeit, veröffentlicht im Dezember 2017, trägt den Titel ‚Überlebende als Akteurinnen. Die Frauen der Lagergemeinschaften Ravensbrück: Biografische Erfahrung und politisches Handeln, 1945 – 1989.

Henning Fischer vermittelt profunde Einblicke in das Leben und das politische Handeln von deutschen Kommunistinnen, die die Hölle des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück überlebten und die sich nach der Befreiung in Lagergemeinschaften engagierten. Parallel zu dieser »Kollektivbiografie« wird die Geschichte der Vereinigungen ehemaliger Ravensbrück-Häftlinge in beiden Teilen Deutschlands dargestellt.

Henning Fischer, Überlebende als Akteurinnen. Die Frauen der Lagergemeinschaften Ravensbrück: Biografische Erfahrung und politisches Handeln, Konstanz und München 2017, 541 Seiten

Henning Fischer, Überlebende als Akteurinnen. Die Frauen der Lagergemeinschaften Ravensbrück: Biografische Erfahrung und politisches Handeln, Konstanz und München 2017, 541 Seiten

Der Schilderung der politischen Aktivitäten der Frauen nach 1945 ist ihr Handeln in der Zeit der Weimarer Republik. im Widerstand während des Naziregimes und während der Inhaftierung vorangestellt. In den folgenden Abschnitten wird deutlich, wie sehr die Erfahrung Ravensbrück das weitere Leben prägte. Auf dieser gemeinsamen Erfahrung beruhte die enge persönliche Beziehung zwischen den Frauen in den Lagergemeinschaften – die nicht-kommunistischen Frauen eingeschlossen. Sie bestimmte das politische Handeln innerhalb und außerhalb der Lagergemeinschaften und nicht zuletzt die Arbeit als unermüdliche Zeitzeuginnen bis ins hohe Alter.

Im Bemühen der Überlebenden, einen Zusammenschlusses der ehemaligen Häftlinge zu schaffen, wird deutlich, wie sehr die Frauen in einer von Männern geprägten Gesellschaft um die Anerkennung ihres Widerstandes und um das Gedenken an Ravensbrück kämpfen mussten.

In diesem Zusammenhang verwendet der Autor wiederholt den Begriff »Eigensinn« um das Verhalten der Frauen zu charakterisieren, Er verweist dazu auf andere Veröffentlichungen. Unter Eigensinn der Frauen versteht er »… ihre partikulare Erfahrung in Abgrenzung von den sie umgebenden Diskursen zu bestimmen, auch gegenüber denen ihrer politischen Milieus und Organisationen.« Das Wort Eigensinn erhält damit eine eigenwillige Definition, die dem allgemeinen Sprachgebrauch widerspricht. Laut Duden sind Synonyme für eigensinnig: störrisch, trotzig, unbelehrbar, uneinsichtig, dickköpfig …Das ist doch sicher nicht gemeint! Man sollte auf die Sprache achten, um falsche Schlussfolgerungen und möglichen Missbrauch zu vermeiden.

Bei der Darstellung der Biografien vermittelt die Arbeit zugleich Einblicke in politische Gegebenheiten im ‚»ostnationalsozialistischen« Deutschland. So werden die erheblichen Konflikte zwischen kommunistischen Überlebenden in der DDR beschrieben die aufgrund der Zentralisierung der Verfolgtenverbände und deren Auslegung der Geschichte entstanden. Aus der BRD werden die beschämende Praxis der »Wiedergutmachung« aufgezeigt, sowie die erneute Diskriminierung und Verfolgung von Kommunistinnen und Kommunisten, die einhergingen mit der Reintegration ehemaliger Nazis in Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Justiz.

Die Arbeit beruht auf einem umfangreichen Quellenstudium. Die Aussagen der Überlebenden haben viel Gewicht. Die Frauen kommen durch Zitate aus Briefen, Protollen, Berichten und den verschiedensten Publikationen zu Wort. Verwunderlich ist, dass eine der letzten noch aktiven Überlebenden der Lagergemeinschaft Ravensbrück in der BRD, Esther Bejarano, nicht zur Geschichte der Lagergemeinschaft befragt wurde.

Sie hätte z. B. auch darüber Auskunft darüber geben können, was der Begriff Kameradschaft für die Häftlinge bedeutete. Im Buch ist das Wort Kameradinnen durchgängig in Anführungszeichen gesetzt. In der Zusammenfassung am Ende der Arbeit wird die Formulierung »freundschaftlich« für die Beziehung zwischen den Mitliedern der Lagergemeinschaft verwendet, möglicherweise in Anlehnung an den Versuch von Historikerinnen, den Begriff Kameradin durch Freundin zu ersetzen. Mit dem Wort Freundin wird jedoch eine andere persönliche Beziehung beschrieben. Für die Überlebenden steht Kameradschaft für Solidarität im Widerstand und im Kampf ums Überleben in den Konzentrationslagern.

Der Autor beschreibt nur das politische Handeln kommunistischer Frauen. Auf die zahlreichen nichtkommunistischen Frauen in der westdeutschen Lagergemeinschaft weist er hin und bedauert zugleich, die vorhandenen Quellen dazu seien nur dürftig. Darüber solle weiter geforscht werden. Doch von oder über mehrere dieser Frauen liegen Publikationen vor.

Weiter geforscht werden sollte auch über die Rolle der politischen Häftlinge als Funktionshäftlinge. Sie werden in ihrer Ambivalenz zwischen den übrigen Häftlingen und der Lagerleitung dargestellt, aber ihre Bedeutung für den Schutz der Mithäftlinge tritt dabei in den Hintergrund.

Neben einer Fülle historischer Fakten und Details aus dem Leben der Akteurinnen enthält die Arbeit Interpretationen ihrer Motive und Ziele, die teilweise diskussionswürdig wären.

Dessen ungeachtet ist die Dissertation von Henning Fischer eine Würdigung der Kommunistinnen in den Lagergemeinschaften sowie ihres Widerstandes und ihrer Beharrlichkeit.

 

 

Die Rezensentin war Gründungsmitglied der Lagergemeinschaft Ravensbrück / Freundeskreis e.V. und von 1997 – 2007 deren Vorsitzende.