Autoritäre Krisenbewältigung

geschrieben von Markus Roth

3. Juli 2018

Was der autoritäre Populismus mit Neoliberalismus zu tun hat

»Reale Probleme«, seien es, welche die AfD anspricht. So kriegen wir es in Diskussionen um die Strategie gegen die AfD immer wieder zu hören. Dass die Antworten der AfD auf diese »nun mal vorhandenen« gesellschaftlichen Probleme nationalistisch, rassistisch, sexistisch, exklusiv usw. sind, wird als das eigentliche Problem angesehen. Doch inwieweit gehen wir der AfD damit schon auf den Leim, wenn wir ihre Problemdarstellungen und Themensetzungen aufgreifen und versuchen dafür progressive Lösungen anzubieten? Denn für manche »Probleme« gibt es schlicht keine akzeptablen Lösungen, weil sich die Probleme selbst auf eine Gegenwart beziehen, die wir eher überwinden als zementieren wollen.

Nach fast fünf Jahren Bestehen der AfD sind wir in der Analyse dieser neuen Formierung am rechten Rand, der immer kleiner werdenden gesellschaftlichen Mitte, schon etwas weiter. Zu empfehlen ist auch die sozialwissenschaftliche Literatur zum Thema, in der gerade eine Trendwende in der Analyse zu beobachten ist. So widmet sich die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift PROKLA dem Thema »Autoritärer Populismus – Strategie und politische Ökonomie rechter Politik«. Darin sind mehrere Beiträge zu den sich als falsch oder zu kurz gegriffenen Schnellschuss-Analysen zur AfD in der Vergangenheit. Unter anderem wird hier aufgeräumt mit dem Narrativ einer (Weimarer)Demokratie, die in Krisenzeiten »von außen«, aus der protofaschistischen Ecke, unter Druck gerät. Vielmehr sind wir ZeugInnen eines Machtkampfs um die mehr oder weniger autoritäre Transformation des Erfolgsmodells der »imperialen Lebensweise«.

Konsens für eine »imperiale Lebensweise«

Denn quer durch die Parteienlandschaft wird nicht in Frage gestellt, dass unsere Gesellschaftsordnung, unsere Art des (globalen)Wirtschaftens, auf dem ständigen Zufluss an großen Mengen an Energie, materiellen Ressourcen und Arbeit von außen, bei gleichzeitiger Übertragung der Kosten (Ausbeutung von Mensch und Natur) nach außen, angewiesen ist. Davon will im Grunde niemand abrücken, weil das Konsum-, Freizeit- und Mobilitätsverhalten aller hierzulande betroffen wäre.

Hierüber besteht also eine Art gemeinsamer Konsens zwischen den autoritär-nationalistischen Parteien, die diese Lebensweise über Abschottung sichern wollen und den progressiv-neoliberalen Kräften, die eher die »weltoffene« Form des flexiblen Kapitalismus priorisieren. Der Bund der Industrie positioniert sich auf Schärfste gegen die Abschottungsstrategie der AfD – wohlgemerkt aber aus Interesse an offenen Grenzen für Kapital, Ware und hochqualifizierte Arbeitskräfte. Diese vermeintliche Weltoffenheit ist auf der einen Seite proeuropäisch, fördert innereuropäische Chancengleichheit und baut sichtbar bestimmte Diskriminierungen ab. Auf der anderen Seite werden jedoch die Privilegien der eigenen Bevölkerungen nach außen durch Zäune, Küstenwache, Handelsbeschränkungen, überwältigende »Entwicklungshilfe« und Militäreinsätze – also durch die Deprivilegierung Externer, meist unbekannt Bleibender, gesichert. Das »alternative« Gegenmodell der AfD bzw. der Kapitalfraktionen, die an nationalen Wirtschaftsräumen, stabilen Autoritäten und dichten Grenzen interessiert sind, ist hingegen auch nicht anti-neoliberal. Auch dieses beruht auf »mehr Markt« und mehr Privatisierung.

Zukunftssicherheit durch Besitzstandswahrung

Zum Zuge kommt die AfD vor allem deshalb weil sie an das Sicherheitsbedürfnis ihrer WählerInnen appelliert. Diese, nicht immer objektiv gefährdete, Sicherheit ist im individualisierten Kapitalismus aber nicht kollektiv im Solidarverband herstellbar, sondern nur durch Privatbesitz und durch seine rabiate Verteidigung. In diesem Besitz-Individualismus und der Hoffnung, durch Mehrung des Eigenen mehr Zukunftssicherheit zu erlangen, treffen sich neoliberal wie völkisch orientierte Lebenswelten.

Diesem stabilen Bündnis ist sicher nicht zu begegnen, indem weiter für Besitzstandswahrung eingetreten wird. Oder besser: Globale Gerechtigkeit und die Vermeidung immer neuer Krisen wird uns was kosten. Das eigentliche Projekt der Verteidiger-Innen dieses Lebens- und Wirtschaftsstils ist die Delegitimierung dieser banalen Einsicht und die Blockade aller Versuche, die Gesellschaften entsprechend zu transformieren. Progressive Linke sollten die eurozentristische und imperiale Lebenswirklichkeit offenlegen, für eine Abkehr eintreten und an eine global solidarische Bewegung anknüpfen, die sich von den imperialen Wahrnehmungs- und Denkweisen verabschiedet haben.