Kranke sind keine Straftäter

15. Juli 2018

Fragen an Dr. Rolf Marschner zum geplanten »Psychisch-Kranken-Gesetz« in Bayern

Radio Corax: An dem geplanten Psychiatriegesetz der Bayerischen Landesregierung wird kritisiert, dass darin die Unterbringung psychisch kranker Menschen mit einer Inhaftierung gleichgesetzt würde. Worauf gründen sich diese Befürchtungen?

Rolf Marschner: In diesem Bereich haben wir Landesrecht, und es gibt 16 Bundesländer, die solche Gesetze haben, in denen Hilfen für psychisch kranke Menschen und in extremen Krisen auch eine Unterbringung geregelt wird. Das ist im Prinzip überall so, die einzige Ausnahme ist das Saarland. In den letzten dreißig Jahren sind diese Gesetze sogenannte » Psychisch-Kranken-Gesetze« geworden, in denen die Hilfen in den Vordergrund gerückt wurden und die Unterbringung nur noch in besonderen Fällen zum Zuge kommen soll. Bayern hat als einziges Bundesland noch ein polizeirechtlich orientiertes »Unterbringungsgesetz«. Sie möchten das jetzt auch »Psychisch-Kranken-Gesetz« nennen. Das ist aber zumindest teilweise eine Mogelpackung. Die Hilfen sind in höchstens ein bis zwei Artikeln geregelt und beschränken sich auf einen Krisendienst und danach haben wir in der gesamten Terminologie und Begrifflichkeit: Gefahren für das Allgemeinwohl, Kontakte zu Polizei und Bewährungshilfe, Bezugnahmen auf Strafvollzugsmaßnahmen und Sicherheitsgesetze. Eine Terminologie die den akut psychisch kranken Menschen in die Nähe von psychisch kranken Straftätern rückt.

Radio Corax: Sie sagen, dass sich das Gesetz am Strafrecht orientiert, was ja eigentlich ein völlig anderes Thema ist. Ist es rechtmäßig, dass in einem Gesetz solch ein Zusammenhang hergestellt wird?

Rolf Marschner: Rechtmäßig ist vielleicht ein schwieriger Begriff. Man muss das historisch verstehen. Ursprünglich, so vor 40, 50 Jahren, oder noch früher, hat man psychisch kranke Menschen in der Öffentlichkeit sozusagen als »störende Menschen« empfunden, die man dann nach polizeilichen Gedankengut und Gesetzen eingesperrt hat. Von diesem Denkansatz ist man mit den Jahren abgerückt und hat gesagt, es geht um etwas ganz anderes. Es geht um ein spezielles Gesundheitsrecht, und damit Hilfsangebote für psychisch kranke Menschen und in diesem Zusammenhang kann es im Extremfall notwendig sein, zur Krisenintervention jemanden, der meinetwegen akut suizidal ist, auch gegen seinen Willen unterzubringen. Die moderne Gesetzgebung, die sich ja auch in allen anderen 15 Bundesländern durchgesetzt hat, sieht die Unterbringung nur noch als eine Hilfe in einem Gesamtkonzept psychiatrischer Hilfsangebote. Das tut das bayerische Gesetz gerade nicht.

Radio Corax: Sehen Sie darin im Vergleich zum vorherigen Gesetz evtl. sogar eine Verschärfung?

Rolf Marschner: Es ist jedenfalls keine Verbesserung und teilweise sind die Verbindungen, insbesondere bei den Informationspflichten und bei der Datenerhebung gegenüber dem alten Unterbringungsgesetz, noch schlechter geworden. Bestimmte Informationspflichten bei Entlassung von betroffenen Menschen an Polizei oder Bewährungshilfe standen in dieser Form im alten Gesetz nicht.

Radio Corax: Können Sie an einem Beispiel erläutern, welche konkrete Auswirkungen das Gesetz oder diese Unterbringungsdatei für jemand haben könnte, der psychiatrische Hilfe benötigt oder in Anspruch genommen hat?

Rolf Marschner: Ich hatte gerade einen aktuellen Fall im Büro. Wenn jemand aus einer psychischen Krise heraus vielleicht eine suizidale Handlung androht oder begeht, könnten dessen Daten auf viele Jahre oder auf unabsehbare Zeit gespeichert werden und staatliche Instanzen bei irgendwelchen Entscheidungen darauf zurückgreifen. Das ist schlicht und einfach abzulehnen. Darüber kann man bei psychisch kranken Menschen diskutieren, die Straftaten begangen haben. Aber bei jemandem, der in einer bestimmten Situation in einer suizidalen Krise ist, ist das unangemessen.

Radio Corax: Bayern macht in letzter Zeit auch durch das Polizeiaufgabengesetz auf sich aufmerksam. Sehen sie eine generelle Tendenz in Bayern, polizeiliche Befugnisse zu erweitern?

Rolf Marschner: Das ist jetzt eine ganz politische Einschätzung, die man aber auf verlässliche Informationen stützen kann. Diese Prozesse laufen gewissermaßen parallel. Wir wissen in der Diskussion um das neue Psychiatriegesetz in Bayern, dass auch die Fachpolitiker der hiesigen Mehrheitspartei, also der CSU, ein anderes Gesetz gewollt hätten, dass aber die Härte dieser Tendenz wohl aus innenpolitischen Gründen, also aus dem bayrischen Innenministerium, so vorgegeben worden ist. Und damit sind wir natürlich bei einer Parallele zum Polizeiaufgabengesetz.

Radio Corax: Beim Polizeiaufgabengesetz meinen sehr viele Anwälte, Richter, teils sogar Polizeibeamte, es sei nicht praktikabel oder führe zu weit. Halten Sie es für möglich, dass das Psychiatriegesetz, genauso wie das Polizeiaufgabengesetz, eine Art Vorbild für andere Bundesländer werden könnte?

Rolf Marschner: Ich bin kein Spezialist im Polizeirecht, aber ich denke, das muss man trennen. Bezüglich der Psychiatriegesetze glaube ich eher, dass die anderen Bundesländer den Kopf schütteln. Eine Gefahr, dass sie sich da anschließen, sehe ich nicht.

Dr. Rolf Marschner ist Fachanwalt für Sozialrecht mit dem Schwerpunkt Behindertenrecht in München

Das Interview wurde von der »tagesaktuellen Redaktion« von Radio Corax, dem Freien Radio in Halle gemacht. www. Freie-Radios.net