Behörden contra Verfassung

geschrieben von Ulrich Sander

17. August 2018

Vor einer neuen Bewegung gegen Berufsverbote

Die alte Bundesrepublik Deutschland wurde 40 Jahre alt. 30 Jahre davon waren solche, in denen Berufsverbote für sog. Linksextremisten galten, und von 1951 an gab es 17 Jahre lang strafbewehrte Verbote der FDJ und dann, ab 1956, auch der KPD. Rund 10.000 Kommunistinnen und Kommunisten und solche Bürger, die oft von alten Nazikadern zu Helfern der »Linksextremisten« und damit zu »Verfassungsfeinden« erklärt wurden, wanderten in die Gefängnisse. Seit dem Radikalenerlass von Willy Brandt und den Länderministerpräsidenten im Jahre 1972 bekamen die Berufsverbote für Linke im öffentlichen Dienst wieder Auftrieb. Der Marsch der 68er durch die Institutionen sollte verhindert werden, zumindest im Bereich des öffentlichen Dienstes. Zu diesem Zweck wurden 3,5 Millionen Dossiers vom Verfassungsschutz angelegt, gefüllt mit »Erkenntnissen« über Bürger, die sich politisch engagierten. Bewerber für den öffentlichen Dienst, die als linke Verfassungsfeinde galten, weil sie linken Organisationen angehörten oder diese unterstützten, wurden abgelehnt. Es wurde behauptet, sie würden »Zweifel begründen, ob sie jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten«. Sie wurden bespitzelt, überprüft, mit Fragen wie »Streben Sie den Sozialismus an?« oder »Teilen Sie Aussagen der DKP?« behelligt. Solche Befragungen wurden als Einzelfallprüfungen abgehalten, nachdem pauschale Ausschlüsse wegen der Mitgliedschaft in bestimmten Organisationen die »Sympathisanten« nicht ausreichend berücksichtigten.

Nach der sogenannten Wende und dem Anschluss der DDR an die BRD wurde eine pauschale Ausgrenzung ohne Einzelfallprüfung möglich. Parteifunktionäre und »staatsnahe« Personen wurden entlassen, z.B. sämtliche Hochschullehrer, die als Historiker grundsätzlich als Anhänger der antifaschistischen und zugleich kapitalismuskritischen »Dimitroff-These« galten. Diese Kapitalismuskritik gilt seitdem als gegen die Demokratie gerichtet.

Mit – vorerst gescheiterten – Versuchen, Berufsverbote in Baden-Württemberg und Bayern durchzusetzen, ist das Thema wieder auf der Agenda der behördlichen Verfassungsfeinde. Denn sie sind die wahren Feinde der Freiheit und der Demokratie. Ein Verfassungsschutzverbund aller Landesinnenminister sammelt eifrig Material gegen Linke. Das Ausmaß dieser Aktivitäten einer Behörde, die mit der Verbindung mit den NSU-Morden ein für alle Mal jeden Kredit verspielt hat, wurde in einem Prozess bekannt, den das frühere Berufsverbote-Opfer Silvia Gingold in Hessen angestrengt hatte. Sie war eine der ersten Lehrerinnen, denen der Beamtenstatus verweigert wurde, und die nach internationalen Protesten wenigstens als angestellte Lehrkraft tätig werden durfte. Jetzt als Pensionärin erfuhr sie, dass der hessische Verfassungsschutz schon wieder ihre Beobachtung betreibt, wogegen sie klagt. Im Prozess wurde bekannt, was sie u.a. angeblich zur Verfassungsfeindin stempelt: Die Lesungen aus den Lebenserinnerungen ihres Vaters, des jüdischen Kommunisten Peter Gingold, weil damit für die VVN-BdA geworben würde. Ferner das öffentliche Eintreten für den Schwur der Häftlinge von Buchenwald, den diese im April auf dem KZ-Appellplatz nach ihrer Befreiung ablegten und in dem sie eine Welt des Friedens und der Freiheit einforderten und die endgültige Befreiung vom Nazismus »mit seinen Wurzeln« verlangten. Kommunisten sähen die Demokratie als Wurzel des Nazismus an, ist die absurde Behauptung, die gegen Silvia Gingold in umfassenden Dossiers gerichtet wird, nicht zu vergessen ihre Beteiligung an Antinazi-Demonstrationen und Gewerkschaftsversammlungen, die die Rentnerin zu infiltrieren gedenke.

Die behördlichen Aktivitäten, wie jene gegen Silvia Gingold, aber auch die neuen Fälle die in Bayern und Baden-Württemberg haben nun die ehemaligen vom Berufsverbot Betroffenen auf den Plan gerufen, die einen Arbeitsausschuss zur Verteidigung der demokratischen Rechte konstituierten. Mit neuen Aktivitäten will dieser Arbeitsausschuss darauf hinwirken, dass das Unrecht aus der Alt-BRD endlich aufgearbeitet wird und die Betroffenen rehabilitiert und entschädigt werden. Entgegengetreten werden soll auch allen Versuchen, die Berufsverbotspolitik der 70er und 80er Jahre neu zu beleben. Neue Gesetze und Verordnungen, wie die neuen Polizeiaufgabengesetze, werden als Bedrohung der Freiheit angesehen. Der Arbeitsausschuss ist unter k.lipps@posteo.de und www.berufsverbote.de zu erreichen. Es wurde erklärt, man wolle anlässlich des bevorstehenden 70. Geburtstages des Grundgesetzes am 23. Mai 2019 »gemeinsam mit Bündnispartnern aus Gewerkschaften, demokratischen Organisationen und Initiativen darauf aufmerksam machen, dass 70 Jahre Grundgesetz auch 70 Jahre Verteidigung der demokratischen Grundrechte waren.«

Neben Behörden beteiligten sich CDU/CSU-Gliederungen an der antikommunistischen Hexenjagd. Ihnen traten SPD-Gliederungen kaum entgegen, aber gelegentlich doch. Letztere verteilten wohl keine Wahlkampfmaterialien, in denen per Würfelspiel der Ort der Schulen mit vermuteten Linken bezeichnet wurde und der Spieler einmal auszusetzen hatte, weil dort eine »kommunistische Lehrerin Kinder erzieht.« (Aus CDU-Wahlkampfmaterial in Hessen)