Gefährliche Kommunistin
24. September 2018
Neuauflage der Biografie von Judith Auer
Der Name Judith Auer hatte in der DDR wie der vieler Antifaschisten und Antifaschistinnen auch im öffentlichen Raum seinen selbstverständlichen Platz im Erinnern und Gedenken. Ihn nach dem 3. Oktober 1990 von einer nach ihr benannten Straße in Berlin-Lichtenberg zu tilgen, konnte verhindert werden. Die Neuauflage des im Text wie im Anhang (S. 179-262) reich dokumentierten Bandes ist angesichts der politisch und medial vorherrschenden, unverändert einseitigen und defizitären Würdigung des Widerstandes unter der NS-Diktatur nachdrücklich zu begrüßen und ihr eine größtmögliche Aufnahme zu wünschen.
Ruth Hortzschansky ist die am 27. November 1929 geborene Tochter von Judith Auer. Mit einer Vorbemerkung sowie einem Nachwort bekennt sie, das Schicksal ihrer Mutter als menschliche und politische Verpflichtung für ihr Denken und Handeln angenommen zu haben. Einschließlich der Mitautorenschaft verstärkt dies die Authentizität der Darstellung, Zeugnisse und Urteile. Das gilt auch für die Dokumente und Fotos, darunter – teils als Faksimile wiedergegeben – erhalten gebliebene Briefe und Aufzeichnungen von Judith Auer. Von den künstlerisch ambitionierten Eltern hatte sie frühzeitig Impulse für ihre Entwicklung erhalten. Ihr aus einer jüdischen Familie stammender Vater verlor bei der faschistischen Judenverfolgung nächste Angehörige durch Repressalien und Freitod.
Der Lebensweg und das familiäre Umfeld J. Auers werden seit ihrer Kindheit und Jugend skizziert. Die beiden Söhne Karl Liebknechts gehörten zum frühen Freundeskreis. Sie studierte in Berlin und Leipzig Musik, trat im Oktober 1924 dem KJVD bei und wirkte im Jung-Spartakusbund mit. Damit kam sie in den Umkreis von Kommunisten, darunter Erich Auer aus Jena, mit dem sie von 1926 bis Ende 1939 verheiratet war. Sie musste ihren Berufswunsch Pianistin aufgeben und wurde Schreibkraft, um zum familiären Unterhalt beizutragen. Ab Herbst 1926 lebten die jungen Eheleute in Berlin, da Erich inzwischen in zentralen Gremien der KPD sowie vorübergehend der Kommunistischen Jugendinternationale (KJI) arbeitete. 1928 wurde sie Mitglied der KPD, weilte ab Ende Juni dieses Jahres einige Monate in Moskau und widmete sich zunehmend der politischen Arbeit. Mehr als zwei Jahre führte sie Tagebuch über die Entwicklung der Tochter.
Mit der Errichtung der faschistischen Diktatur erlebten Judith und Erich Auer Verfolgung und Arbeitslosigkeit. Sie stellten sich den Geboten der Solidarität in Untergrund und Widerstand. Er wurde im April 1934 verhaftet und blieb bis Oktober 1935 in Haft. Nach Kriegsbeginn schloss sie sich der Widerstandsgruppe um Anton Saefkow an und nahm an der illegalen Arbeit teil. Der in Hamburg verfolgte Franz Jakob kam im Oktober 1942 nach Berlin und konnte wiederholt bei ihr unterkommen. Bei Judith fanden mehrfach Beratungen statt, an denen neben Jakob und Saefkow auch Theodor Neubauer aus Thüringen teilnahm. Besuche bei der zeitweise in Jena lebenden Tochter Ruth boten Gelegenheit zu Treffen mit Theodor Neubauer und Magnus Poser, an die später Lydia Poser erinnerte. Nachdem ein Gestapo-Spitzel Mitglieder der Gruppe verraten hatte, wurde J. Auer am 7. Juli 1944 gegen 8.00 Uhr an ihrer Arbeitsstätte verhaftet. Tochter Ruth erfuhr, dass ihr Vater inzwischen zum Strafbataillon 999 einberufen wurde.
Obwohl in der Haft gefoltert, bekannte sich Auer zu ihren Überzeugungen und Handlungen. Die Schergen protokollierten im Schlussbericht vom 23. Juli: »Bei der Auer handelt es sich um eine gefährliche, unbelehrbare Kommunistin.« (S. 151) Im Ergebnis der Hauptverhandlung am 6. September 1944 vor dem 1. Senat des Volksgerichtshofes wurde die 39-Jährige mit zwei Mitangeklagten zum Tode verurteilt und am 27. Oktober 1944 enthauptet. In der im Bundesarchiv aufbewahrten »Kartei zu Hinrichtungen von Gefangenen im Gefängnis Barnimstraße« findet sich über sie, vermutlich von der Gefängnisfürsorgerin eingetragen, der Vermerk: »Zart von Natur, dabei tapfer und reif in seltenem Ausmaße. Voll überströmender Liebe zur 15j. Tochter, der sie in der Abschiedssprechstunde das Urteil verheimlichte. Voll Güte. Überzeugungstreu. Tapfer und beherrscht bis z. Ende.« (S. 161/164) Die offizielle bundesdeutsche Gedenkpolitik verweigert weiterhin den kommunistischen und weiteren Opfern des antifaschistischen Widerstandes den Platz, der ihnen im Geschichtsbild und öffentlichen Bewusstsein gebührt. Der Vorrang antikommunistischer Geschichtsverzerrung zeitigt inhumane Züge, die von der ideologischen Altlast des Mitläufertums bis 1945 über die Restauration bis in heutige rechtsgerichtete Mobilisierungen reichen und bedrohliche Signale für die Zukunft aussenden.