Nur wenige überlebten

27. September 2018

Vor 75 Jahren wagten Häftlinge in Treblinka den Aufstand

Treblinka war während des Zweiten Weltkriegs einer der großen Schreckensorte im okkupierten Europa. Erst spät hat sich die Weltöffentlichkeit an diesen Namen gewöhnt. Wer heute die Reise dorthin unternimmt, fährt meistens die Landstraßen hinauf an den verwunschenen Ort, der etwa 100 Kilometer in nordöstlicher Richtung von Warschau entfernt liegt. Mit Polens Hauptstadt ist der Ort seit dem Sommer 1942 schicksalsschwer verbunden. Auf dem Schienenweg wurden vom Juli bis September fast täglich tausende Menschen nach Treblinka deportiert, um vergast zu werden. Im Laufe des Sommers steigerte sich die Vernichtungsleistung im Lager auf 10.000 Menschen pro Tag. Am Anfang ahnte kaum jemand der Opfer, was eintreten würde, wenn die Züge mit den Güterwaggons, die den sogenannten Umschlagplatz am nördlichen Ende des Ghettos in unbekannte Richtung verließen, die Endstation der qualvollen Reise erreicht hatten. Erst später identifizierten Widerstandskämpfer und Flüchtende, was es mit der abgesperrten Bahnstation im Wald von Treblinka auf sich hat. In sein Tagebuch notierte der Hebräischlehrer und Untergrundarchivar Abraham Lewin unter dem 28. August 1942, einem Freitag: »Heute haben wir ein langes Gespräch geführt mit Dawid Nowodworski, der aus T[reblinka] zurückgekommen ist. Er hat uns genau berichtet über alles Leiden, dem er ausgesetzt war von dem Moment an, als man ihn geschnappt hatte, bis zur Flucht vom Ort des Entsetzens und der Rückkehr nach Warschau. Seine Worte bestätigen noch einmal, was wir bereits wissen, und sie sind über jeden Zweifel erhaben, dass die Menschen aus allen Transporten umgebracht werden und keiner sich retten kann. Also sowohl diejenigen, die geschnappt wurden, als auch diejenigen, die sich freiwillig stellten. Das ist die nackte Wahrheit. Schauderhaft. Und daran denken, dass in den zurückliegenden Wochen mindestens 300.000 Juden aus Warschau, Radom, Siedlce und vielen, vielen anderen Städten umgebracht wurden. ..«

Die ständigen Sonderkommandos gingen auf eine Entscheidung des Lagerkommanden Franz Stangl vom September 1942 zurück – das Risiko, nunmehr überlebende Zeugen auf der Opferseite zu haben, wurde abgewogen gegen den Vorteil, den Betrieb durch »Fachkräfte« reibungslos abwickeln zu können. Zwischen 700 und 1.500 Gefangene wurden von nun an zu Lagerinsassen. Sie auszuwechseln, hatte stets den Nachteil, wieder von vorne »anlernen« zu müssen.

Die ständigen Sonderkommandos gingen auf eine Entscheidung des Lagerkommanden Franz Stangl vom September 1942 zurück – das Risiko, nunmehr überlebende Zeugen auf der Opferseite zu haben, wurde abgewogen gegen den Vorteil, den Betrieb durch »Fachkräfte« reibungslos abwickeln zu können. Zwischen 700 und 1.500 Gefangene wurden von nun an zu Lagerinsassen. Sie auszuwechseln, hatte stets den Nachteil, wieder von vorne »anlernen« zu müssen.

Die aus dem Warschauer Ghetto Deportierten gehörten zu den ersten Opfern in Treblinka, bis Mitte September 1942 steigt ihre Zahl auf 300.000. Nach heutigen Berechnungen kamen in Treblinka 800.000 bis 850.000 Menschen ums Leben, unter ihnen etwa 50.000 Juden, die nicht aus Polen kamen und 3.000 Roma. Etwa 30.000 Menschen sind mit dem Namen bekannt. Die deutschen Okkupanten nutzten für das Vernichtungswerk kriegsgefangene Rotarmisten, die als Wachpersonal dienten, und Sonderkommandos, die aus den Reihen der Deportierten zusammengestellt wurden, um die ankommenden Menschenmassen entkleidet in die Gaskammern zu schleusen und anschließend die Leichname zu beseitigen. Die Mitglieder der Sonderkommandos sind die einzigen Gefangenen Treblinkas, die wenigstens eine minimale Überlebenschance besaßen. Die Chance bestand in der Ortskenntnis, die sie notwendigerweise erwarben, und in der ihnen eingeräumten zusätzlichen Lebenszeit, die ihnen die Herren über Leben und Tod einräumen mussten, brauchten die doch die schwere körperliche Sklavenarbeit, um Vernichtungslager wie Treblinka effektiv betreiben zu können.

Ab Frühjahr 1943 reifte in einer Widerstandsgruppe in Treblinka der Plan, Waffen zu erbeuten und die SS-Lagermannschaft zur Kapitulation zu zwingen. Aus der zurückgehenden Zahl der täglich Deportierten zogen sie den Schluss, dass das Lager in Kürze den Betrieb einstellen und aufgegeben werde. Das Beispiel des Aufstands im Warschauer Ghetto war ihnen ein Fanal der Hoffnung. In Treblinka brach der Aufstand am 2. August 1943 aus, allerdings blieb aus waffentechnischen Gründen nur die Möglichkeit, aus dem Lager zu fliehen. Von den etwa 800 Gefangenen gelang es wohl 400 Menschen, das Lager gewaltsam zu verlassen. Die Aufstandsführer kamen bei dem Scharmützel allesamt im Lager ums Leben, auf die geflohenen Menschen wurde systematisch Jagd gemacht. Das Ende der deutschen Okkupation erlebten weniger als 70 Menschen, die aus dem Höllenort fliehen konnten, darunter zwei Frauen.

In der zweiten Augusthälfte 1943 kamen noch einmal etwa 10.000 Menschen aus dem liquidierten Ghetto in Białystok nach Treblinka, die genaue Zahl bleibt umstritten. Nach ihrer Vergasung begann die letzte Phase des Vernichtungslagers Treblinka – die Liquidation und die möglichst gründliche Beseitigung der Spuren. Die letzten Gefangenen Treblinkas wurden im Oktober 1943 nach Sobibór gebracht und dort vergast. Auf dem planierten Gelände wurden zwei Familien angesiedelt, die das Terrain vor unliebsamen Besuchern zu schützen hatten.

Am 10. Mai 1964 wurde die Gedenkstätte eingeweiht, die seither zu den wichtigsten Erinnerungsstätten für den Völkermord an den polnischen und europäischen Juden zu rechnen ist. 17.000 Granitsteine unterschiedlicher Größe symbolisieren die maximale Tagesleistung an zu vernichtendem Menschenleben, für die Treblinka technisch ausgelegt war. Holger Politt

Wir danken der Redaktion von »Polen und wir« für die Nachdruckgenehmigung