Die Hoffnung währte kurz…

geschrieben von Friedbert Mühldorfer

30. September 2018

Gedanken anlässlich der Einweihung eines Erinnerungs-Ortes

In München wurde kürzlich eine Erinnerungs-Stele an den 1944 von den Nazis Ermordeten Ludwig Holleis eingeweiht. Er gehörte zum Umfeld der »Antinazistischen Deutschen Volksfront«, einer Gruppe, die in Kontakt mit Organisationsstrukturen widerständiger Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion in Oberbayern versucht hatte, Kriegsende und Befreiung zu beschleunigen. Hier Auszüge aus der Rede des Vertreters der VVN-BdA bei dieser Feierlichkeit:

»Sommer 1945: Angehörige der von den Nazis Ermordeten bemühten sich um würdige Gräber, aus Lagern und Zuchthäusern Befreite kehrten zu ihren Familien zurück und erfuhren vom oft furchtbaren Schicksal von Freunden und Nachbarn. Aber sie waren sich in diesem Sommer doch recht sicher, dass all dieses Leid nur der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden müsse, um die Augen zu öffnen für das, was in den zwölf Jahren des Naziregimes wirklich geschehen war. Dieser Sommer der Hoffnung währte nur kurz.

»Erinnerungszeichen«: Gedenk-Stele für Ludwig Holleis in München-Sendling. Foto: Antoni

»Erinnerungszeichen«: Gedenk-Stele für Ludwig Holleis in München-Sendling. Foto: Antoni

Politik und die Gesellschaft hatten auch in München bald kein Interesse mehr (…). Das brachte keine Wählerstimmen, störte das Vergessen und den Alltag. Die politisch Verfolgten gründeten eigene Organisationen wie die VVN, oftmals der einzige sichere Hort, in dem man Verständnis erhielt für Trauer und Erinnerung, wo man sich empören konnte über die Freisprüche in Naziprozessen und ausbleibende Hilfen angesichts von Arbeitslosigkeit und erlittenen Schäden.

Diese Stele gilt Ludwig Holleis, einem Opfer des Widerstands, genauer: des Widerstands aus der Arbeiterbewegung. Noch genauer: des sozialistisch-kommunistischen Umfelds. Angesichts der immensen Zahl der Beteiligten, angesichts der Monstrosität der Gestapo-Fahndung und der vielen Todesurteile ist es schon erstaunlich, dass von den zwei großen Gruppen aus dem linken, kommunistischen Milieu im München der Kriegszeit – der Hartwimmer-Olschewski-Gruppe und der Antinazistischen Deutschen Volksfront um die Familien Hutzelmann, Holleis und Zimmet – jahrzehntelang nahezu keine Notiz genommen wurde. (…)

Es gibt Gründe für dieses Vergessen, besser: Verschweigen. Ich möchte einen besonderen herausgreifen, weil er von großer Wirkungsmacht ist: Das Feindbild ‚Kommunismus‘. Da geht es nicht um notwendige politische Auseinandersetzung, sondern um ein Etikett. Mit diesem Etikett wurde in der Bundesrepublik nicht nur der dezidiert kommunistische Widerstand, sondern letztlich auch der sozialistische, ja der Arbeiterwiderstand insgesamt ins Abseits gedrängt. Und es diente hier in unserem Fall auch dazu, das Schicksal der ‚Ostarbeiter‘ und der sowjetischen Kriegsgefangenen auszublenden.

Um die Wirksamkeit des Etiketts wussten die Nazis sehr gut, als sie ihre Gegner scheibchenweise ausschalteten. Beginnend mit den Kommunisten. Nicht, weil die am gefährlichsten waren, sondern weil dieses Feindbild vom angeblich kommunistischen Terror, von Moskau gesteuert, am geeignetsten war für die beabsichtigte Gewöhnung an Ausgrenzung und Ausschaltung anderer Menschen.

Das wusste auch der Polizeibeamte Eugen Fischer, der bei der Münchner Gestapo 1944 seinen Dienst tat – zuständig für die Vernehmung in Sachen Hochverrat und ‚Kommunismus‘ oder was dafür gehalten wurde. Er gehörte zu den prügelnden Tätern, denen auch Ludwig Holleis zum Opfer fiel. Der Beamte Fischer wusste aber Anfang der 1950er Jahre in seinem Spruchkammerverfahren auch, dass das Feindbild nach wie vor Wirkung zeigen würde: ‚(Ich war)…als Vollzugsbeamter zur Bekämpfung terroristischer, kommunistischer Sabotage- und Gewaltakte eingesetzt. (…) Es ist klar erwiesen, daß die Kommunisten nicht als Widerstandskämpfer im eigentlichen Sinne zu werten sind.‘ Er habe ja damals nur das getan, was heute genauso gültig sei: die Bekämpfung des Kommunismus.

Dieses Feindbild bestimmte nachhaltig den Umgang mit dem Arbeiterwiderstand insgesamt, besonders in Bayern. Noch 40 Jahre später, 1994, vermittelte anlässlich des 50. Jahrestags des Stauffenberg-Attentats der damalige bayerische Ministerpräsident eingeladenen Schülern in der Staatskanzlei: ‚Auf ehrendes Gedenken haben …nur diejenigen Anspruch, die Widerstand gegen Unrecht und für Recht geleistet haben. ..In diesem Sinne zählen weder diejenigen, die sich durch Emigration oder Desertion dem Zugriff der Nazischergen entzogen haben, … noch etwa die unter sowjetischer Regie agierenden Mitglieder des Bundes Deutscher Offiziere oder des Nationalkomitees Freies Deutschland zu den Widerstandskämpfern. … Gleiches gilt für all diejenigen, deren Zie1 es lediglich war, die Nazidiktatur durch eine wie auch immer geartete kommunistische Diktatur zu ersetzen oder sich für dieses Ziel als Werkzeug missbrauchen zu lassen. … Zu dem, was wir als Widerstand werten, zählen sie … nicht.‘

Die Stele hier für Ludwig Holleis kann nicht nachholen, was früher versäumt wurde. Sie kann nicht ungeschehen machen, dass die meisten Angehörigen von Ermordeten, dass die meisten Verfolgten solche Würdigungen nicht mehr erleben konnten. Aber gerade weil sie den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellt, ist sie auch eine Widerlegung alter, pauschalisierender Feindbilder.«

Auch an anderen Stellen der bayerischen Landeshauptstadt wurden nun weitere »Erinnerungszeichen« dieser Art an Menschen, die in der NS-Zeit verfolgt worden waren oder Widerstand geleistet hatten, errichtetet und eingeweiht. »Auf Augenhöhe« für Betrachter, wie Stadtverwaltung und Organisatoren gerne betonen. Dies durchaus gemeint als Botschaft an die Adresse von »Stolperstein«-BefürworterInnen, denen auf öffentlichen Boden in München bekanntlich nach wie vor deren Art von Erinnerungsarbeit verwehrt wird. – Viele unmittelbar Betroffene oder Engagierte allerdings finden: Je vielfältiger die Erinnerung, desto wirkungsvoller…