Nach dem NSU Prozess

geschrieben von Janka Kluge

18. Oktober 2018

Das fünfeinhalb Jahre dauernde Verfahren ließ wichtige Fragen offen

Am 11. Juli 2018 ging der Prozess gegen Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, André Emminger. Holger Gerlach und Carsten Schultze zu Ende. Beate Zschäpe war angeklagt, Teil des terroristischen Trios, und damit tatbeteiligt und mitverantwortlich zu sein. Die anderen waren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Bis auf Carsten Schultze haben alle Angeklagten die meiste Zeit über geschwiegen. Schultze hatte sich schon vor seiner Verhaftung von der rechten Szene getrennt.

Die Angehörigen der Opfer hatten große Hoffnungen in den Prozess gesetzt. Sie dachten durch den Prozess zu erfahren, warum ihre Ehemänner und Väter ermordet wurden. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Das Gericht ist auf die zahlreichen Anträge der Anwälte der Nebenklage über eventuelle Komplizen vor Ort nicht eingegangen. Es hielt an der Konstruktion der Bundesanwaltschaft fest, dass die Morde, Bombenanschläge und Banküberfälle nur von Mundlos, Bönhard und Zschäpe verübt worden sind. Selbst als antifaschistische Beobachter und die Anwälte dazu übergingen, vom NSU-Kerntrio zu sprechen, um genau die mögliche Verstrickung anderer deutlich zu machen, änderte das Gericht seine Auffassung nicht. Hinzu kommt, dass die Bundesstaatsanwaltschaft bekannt gab, gegen weitere Nazis wegen Unterstützung des Trios Ermittlungen zu führen. Die Urteile gegen Emminger und Wohlleben haben allerdings signalisiert, dass für diese Unterstützer keine Gefahr besteht, zu einer Haftstrafe verurteilt zu werden. Erleichterung und Freude waren dann auch die Reaktion der Neonazis.

Das NSU Kern-Trio kam aus der Kameradschaftszene Thüringens. Sie waren aktive Mitglieder der Kameradschaft Jena. Die verschiedenen Kameradschaften hatten sich im Thüringer Heimatschutz (THS) zusammengeschlossen, um gemeinsame Demonstrationen zu organisieren. Um den THS und die militante Szene besser überwachen zu können, haben verschiedene Verfassungsschutzämter und der Militärische Abschirmdienst bis zu 40 Informanten angeworben. Sie waren zum Großteil noch aktiv, als die drei abgetaucht sind. Durch diese Vernetzung waren die Verfassungsschutzämter zumindest über Personen ganz nahe an dem Trio dran. Die Unterstützer, die den Dreien nach dem Abtauchen geholfen haben, kamen fast alle aus dem Umfeld von Blood & Honour. Auch in diesem, nach dem Leitspruch der Hitlerjugend benannten, Zusammenschluss von Nazimusikern, Bands und CD-Firmen waren Informanten der Verfassungsschutzämter aktiv. Immer wieder ist die Frage gestellt worden, wie es sein kann, dass die Ämter nichts von Verbleib der Drei gewusst hatten, bzw. warum sie eventuell vorgaben, nichts gewusst zu haben. Wobei zu unterscheiden wäre, ob es um deren Wohnort ging, oder um ihre Taten. Bei solchen Betrachtungen wird aber meist übersehen, dass auch die angeworbenen Nazis immer noch Nazis geblieben waren und kein Interesse daran hatten, den Ämtern alles zu erzählen.

Die Nähe der Verfassungsschutzämter wird noch deutlicher beim Mord an Halit Yozgat, am 6. April 2006 in Kassel. Bei dem Mord an dem jungen Mann war der Verfassungsschützer Andreas Temme noch wenige Sekunden vor der Tat in dem Internetcafé. Temme, der auch den Spitznamen »Kleiner Adolf« trug, war Kontaktmann für Nazis aus genau dem Spektrum, aus dem das Trio kam. Später kam heraus, dass er kurz nach dem Mord mit einem von ihnen ungewöhnlich lang telefoniert hat. Die zeitliche Rekonstruktion ergab, dass er den Mörder gesehen haben muss. Unverständlich ist auch, dass sich der hessische Innenminister schützend vor Temme stellte und ihm über lange Zeit keine Aussagegenehmigung erteilte.

Letztendlich nicht aufgeklärt ist der letzte bekannt gewordene Mord des Kerntrios. Bis heute konnte nicht wirklich geklärt werden, warum die Polizistin Michele Kiesewetter und ihr Kollege Opfer des Trios wurden. Auch hier folgte das Gericht der Einschätzung der Bundesanwaltschaft. Danach sah die Tat folgendermaßen aus: Mundlos und Böhnhardt seien zufällig an der Theresienwiese in Heilbronn, auf der die beiden Polizisten gerade Pause machten, vorbeigekommen. Sie sahen sie und haben spontan, aus Hass auf die Polizei, beschlossen sie zu erschießen und zu berauben, obwohl alle Zeugen, darunter ein Informant der Polizei, Anderes dazu aussagten. Ungeklärt ist auch die Anwesenheit verschiedener Geheimdienste zum Zeitpunkt der Tat rund um die Theresienwiese.

Solange so wichtige Fragen offen sind, darf es keinen Schlussstrich unter den NSU-Komplex geben.

Unverständlich ist außerdem, dass ein interner Bericht des hessischen Verfassungsschutzes, in dem es auch um den Mord an Halit Yozgat geht, für 120 Jahre gesperrt wurde. Wer einen Untersuchungsbericht bis zum Jahr 2138 sperrt und damit der Öffentlichkeit den Zugang verweigert, dürfte Gründe dafür haben, die schwer zu erklären sind.