Wie hältst du´s mit der DDR?

geschrieben von Regina Girod

2. Dezember 2018

Neue deutsche »Geschichtsaufarbeitung« und ihre Folgen

Die offiziellen Feiern zum »Tag der der Deutschen Einheit« wurden in diesem Jahr von teils nachdenklichen, teils verständnislosen Reflexionen über Denk- und Verhaltensweisen in Ostdeutschland begleitet, die westlichen Kommentatoren bis heute fremd erscheinen. »Im Zeichen des erstarkenden Populismus ist 28 Jahre nach dem Vollzug der Wiedervereinigung die Kluft zwischen Ost und Welt so präsent wie seit Jahren nicht mehr.«, meldete ntv und titelte: »Einheit ist noch nicht vollendet«.

Tatsächlich existiert neben anderen Spaltungen der BRD-Gesellschaft ungebrochen weiter die zwischen Ost und West, erkennbar u. a. an der fast doppelt so hohen Zustimmungsrate für die AfD im Osten. Das älteste Erklärungsmuster dafür lautet: »Im Osten wählen die Menschen eher rechts, weil sie aus einer Diktatur kommen.« Wenn also im nächsten Jahr die AfD in Sachsen die Landtagswahlen gewinnen sollte, ist der Schuldige schon ausgemacht – die DDR. So einfach, so falsch. Tatsächlich lassen sich gesellschaftliche Sozialisationsbedingungen nicht einfach »abschalten« und wirken noch über Generationen nach. Doch vielleicht sind es ja nicht nur die Erfahrungen aus der DDR, sondern eher jene, die die Ostdeutschen in den Jahren nach der »Wende« machen mussten, die Enttäuschung, Wut und Verbitterung hinterließen, von denen heute u.a. die AfD profitiert?

Ludwig Elm: Rechte Geschichtspolitik unter linker Flagge, 71 Seiten, 5 Euro, pad-Verlag – Am Schlehdorn 6, 59192 Bergkamen /pad-verlag@gmx.net

Ludwig Elm: Rechte Geschichtspolitik unter linker Flagge, 71 Seiten, 5 Euro, pad-Verlag – Am Schlehdorn 6, 59192 Bergkamen /pad-verlag@gmx.net

Der langjährige Aktivist der VVN-BdA und Autor der antifa, Prof. Dr. Ludwig Elm, hat bereits im Sommer eine Streitschrift veröffentlicht, die genau ins Zentrum dieses Diskurses zielt. Ihr Titel: »Die DDR im Fokus der Thüringer Linkskoalition. Kritische Auseinandersetzung und Erklärung oder Delegitimierung und Diskriminierung?«

Ludwig Elm, der von 1994 bis 1998 als Abgeordneter der PDS dem Deutschen Bundestag angehörte und dort für seine Fraktion in der Enquete-Kommission »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland« mitarbeitete, ist enttäuscht von der Geschichtspolitik der Thüringer Regierung unter Bodo Ramelow. Das ist sein gutes Recht, auch wenn man fragen könnte, warum er gerade in dieser Frage etwas anderes erwartet hat.

Was seine Schrift aber wertvoll und verbreitungswürdig macht, ist seine Analyse der Mechanismen, mit denen die Politik der BRD seit 28 Jahren darauf zielt, die DDR unter dem Vorwand von »Geschichtsaufarbeitung« systematisch zu delegitimieren, zu kriminalisieren und zu denunzieren und so den eigenen Sieg im Kalten Krieg immer wieder zu manifestieren – wenn auch mit zweifelhaftem Erfolg.

Dabei wurden weder Kosten noch Mühen gescheut, Elms Auflistung macht das deutlich:

»Zwei Enquete-Kommissionen des 12. und 13. Deutschen Bundestages zur ›SED-Diktatur‹ einschließlich umfangreicher öffentlicher Berichterstattungen sowie der Veröffentlichungen ihrer Ergebnisse; die Schaffung eines Netzes politisch-ideologischer Behörden, Stiftungen, Institute und Vereine zur dauerhaften, flächendeckenden antikommunistischen Indoktrination, darunter: die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der ›SED-Diktatur‹; die Stasi-Unterlagenbehörde mit Filialen in Bundesländern sowie Kompetenzen und Privilegien in archivalischer, dokumentarischer und medialer Hinsicht sowie in Forschung und Propaganda; der Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin; die Neubildung von Instituten und Stiftungen mit einschlägigen Schwerpunkten in Potsdam, Berlin, Leipzig, Dresden, Weimar (Ettersberg); die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen sowie entsprechende einäugige Ausrichtung von weiteren Gedenkstätten und Museen; Prioritäten in Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung, Hochschulinstituten, Verlagen, Periodika; die massenwirksame Fortsetzung in Belletristik, Rundfunk, TV und Kino – alles in allem ein zuvor unvorstellbarer politischer, personeller, technischer und finanzieller Aufwand im Dienste ideologischer Hegemonie.«

Hinzu kommt der ständige Gebrauch denunziatorischer Begriffe wie »Diktatur« oder »Unrechtsstaat«, über den der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde (SPD) 2015 bemerkte: »Die globale Kennzeichnung der DDR als Unrechtsstaat ist nicht nur falsch, sie kränkt auch die Bürger und Bürgerinnen der ehemaligen DDR.«

Genau diesen Mechanismus haben die »Geschichtsaufarbeiter« nicht verstanden. Wenn eigene Erfahrungen mit ideologischen Bewertungen kollidieren, vertrauen Menschen natürlich ihren Erfahrungen. So stellte der Thüringen-Monitor, eine periodisch durchgeführte repräsentative Meinungsumfrage, 2015 fest, dass die DDR »nach wie vor ein prägendes Element für die Identität und die Alltagserfahrung vieler, auch der jüngeren Thüringerinnen und Thüringer« sei. Darin offenbare sich eine »auffällig verbreitete DDR-Nostalgie und die retrospektive Sozialismusaffinität«.

Es ist bitter, dass davon jetzt die Rechte profitiert.