Vom glühenden Leben
22. Januar 2019
Das Werk des expressionistischen Künstlers Fritz Ascher
Der Maler Max Liebermann war von einigen Bildern des jungen Künstlers Fritz Ascher (1893 – 1970) hellauf begeistert und vermittelte ihm ein Studium an der Kunstakademie Königsberg. Zurück in Berlin setzte Ascher seine Ausbildung bei Lovis Corinth fort. Die Zeichen standen damals auf Erfolg für das expressionistische und symbolistische Werk Aschers, der sich auch als Poet versuchte. Angefangen hatte er damit noch vor dem Ersten Weltkrieg, fand nach dessen Ende zunehmend Anerkennung, Gruppen und Einzelausstellungen folgen. Mit der Machtübernahme der Nazis kommt das jähe Ende.
Wegen seiner jüdischen Familienherkunft werden ihm Berufs- und Existenzgrundlagen genommen, es beginnt die Verfolgung, die 1938 in Aschers Verhaftung und Internierung im Konzentrationslager Sachsenhausen kulminiert. Dank der Hilfe eines befreundeten Anwalts kann er freikommen, eine geplante Emigration nach Shanghai scheitert. 1942 droht Ascher die Deportation in ein Vernichtungslager. Der Mutter seines Freundes, Martha Grassmann, gelingt es, ihn bis zur Befreiung 1945 zu verstecken.
Ausführlich über Leben und Werk des Künstlers konnten sich im Laufe der letzten eineinhalb Jahre Interessierte in Berlin und Potsdam, in Osnabrück, Chemnitz und Wertheim informieren. Vorerst letzte Station der Ausstellung »Leben ist Glühn. Der Expressionist Fritz Ascher« war im Herbst 2018 das Kallmann-Museum in Ismaning bei München. Zur Ausstellung erschienen ist ein Katalog, dessen Autor*innen versuchen, die Arbeiten in die historischen Zusammenhänge einzuordnen.
Die einleitende Studie der Ausstellungs-Initiatorin Rachel Stern aus New York heißt »Fritz Ascher: Ein Leben in Kunst und Dichtung«. Über ein Frühwerk des Künstlers schreibt sie: »In expressionistischen Zirkeln lebten in jener Zeit religiöse Themen wieder auf. Ascher beschäftigte sich mit Darstellungen der Leidensgeschichte Christi. Sein monumentales Golgatha von 1915 zeigt die drei Gekreuzigten mittig am oberen Bildrand, im Vordergrund des Gemäldes aber stehen Angst und Schrecken derer, die dem Akt beiwohnen.«
Es ist jene Ambivalenz, die bei den Bildern des evangelisch getauften Ascher, der nur Dank der Hilfe von Freundinnen und Freunden in einem Kellerversteck dem Holocaust entgehen kann, beim so unterschiedlichen Werk vor 1933 und den Bildern, die nach der Befreiung 1945 entstehen, ins Auge springt. Rachel Stern: »Um 1919 schuf Ascher zahlreiche Skizzen zur Leidensgeschichte Christi, die durch ihre Authentizität und starke Emotionalität auffallen. Sie sprechen von seiner Bewunderung für Käthe Kollwitz, der er zwei Gedichte widmete. Gleichzeitig zeichnet Ascher Straßenkämpfe – bezieht er sich hier auf die Novemberrevolution von 1918/19? In den 1920ern nahmen Visionen von Verdammung und höllischen Qualen der Menschheit in Aschers Werk zu«. In solchen Zusammenhängen können auch seine damals entstandenen »Golem«- und »Bajazzo«-Darstellungen gesehen werden.
Nach 1933 werden die Bildwerke spärlicher, mit der Verfolgung ab 1938 und der Überlebenszeit im Versteck nach 1942 beginnt Fritz Ascher sich auf das Verfassen von Gedichten zu konzentrieren. Auch von diesen sind im Katalog einige abgedruckt.
Nach der Befreiung fängt er wieder an mit dem Malen: »Leben ist Glühn«. Mehr und mehr entwickelt er in den nächsten Jahrzehnten ein an den ihn umgebenden Landschaften und Lichtverhältnissen orientiertes Farben- und Formenspiel. Gleichzeitig nimmt er aber auch frühere Motive und Porträts wieder auf und gestaltet sie neu. Ausstellungs- und Verkaufserfolge gibt es kaum, gesundheitlich ist Ascher durch die Jahre der Verfolgung schwer angeschlagen.
»Primo Levi, der italienisch-jüdische Schriftsteller und Holocaust-Überlebende«, resümiert Ori Z. Soltes, Washington, in seinem Katalogbeitrag, »bemerkte in seinem letzten Werk, Die Untergegangenen und die Geretteten, dass niemand davon ausgeht, ein ‚Holocaust-Autor oder Künstler‘ zu werden, sondern dass man von der Erfahrung dermaßen geprägt ist, dass man niemals frei, niemals wirklich ein Überlebender ist, und dass man aus dieser Getriebenheit schreibt oder bildhauert; aus dem Bedürfnis, etwas auszudrücken, sich an etwas zu erinnern (oder zu vergessen), was fundamental unausdrückbar ist und auf eine paradoxe Art unvergessbar. Während sich aus der Untersuchung zu Aschers Golem und anderen messianischen/christologischen Werken Mehrdeutigkeiten ergeben, die den Geist herausfordern, erkennt man in den späteren post-Holocaust-Arbeiten des Künstlers ein indirekt ausgedrücktes Echo auf Levis These: Aschers Werk ist freier denn je, aber belastet wie seit jeher, und vollständig unverbunden mit seiner Holocaust-Erfahrung, die doch so tief in jedes Bild eingebettet ist. Seine Arbeit hat nichts mit dieser Erfahrung zu tun und alles mit ihr.«
Rachel Stern (Hg.), Leben ist Glühn. Der Expressionist Fritz Ascher, Katalog, 22,5 x 33 cm, 292 S., 193 Farb-, 20 s/w-Abb., geb., Wienand Verlag Köln, 39,80 Euro