Den rassistischen Konsens brechen

geschrieben von Cornelia Kerth

7. April 2019

11. – 24. März: Internationalen Woche gegen Rassismus

Rassismus ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Seit der Eroberung der Welt durch die Europäer haben Theorien der Ungleichheit von Menschen aufgrund ihrer Herkunft das Machtgefälle zwischen den weißen Eroberern und den Kolonisierten legitimiert. Daran hat sich durch die formale Unabhängigkeit der Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas wenig geändert. Bis heute prägen das Gefühl der Überlegenheit, die selbstverständliche Inanspruchnahme von Privilegien – die kaum als solche wahrgenommen werden – und die Ausgrenzung aus dem konstruierten »Wir« das Verhältnis der »ganz normalen Deutschen« zu den »Anderen«.

Es beginnt bei Kindern, deren Eltern bereits als Deutsche geboren wurden, die aber immer noch einen »Migrationshintergrund« haben; mit dem Gerede von einer »Leitkultur« und der zunehmenden Selbstverständlichkeit, mit der vom »Scheitern der Integration« gesprochen wird, was fast nie mit sozialer Ausgrenzung und fast immer mit »mangelnder Integrationsbereitschaft« in Verbindung gebracht wird. Diskriminierung bei Bewerbungen um Arbeit oder Wohnung, bei der Empfehlung zur Schullaufbahn, in Amtsstuben oder bei Einlasskontrollen wird regelmäßig in Studien und bei Stichproben nachgewiesen. Beleidigungen auf der Straße nehmen zu.

Obwohl Fortbildungen zu »Interkultur« seit Jahren Konjunktur haben und Behörden bis hin zur Polizei um Personal »diverser« Herkunft werben, ist die kulturelle Öffnung hin zu einer gelebten Kultur der Vielfalt noch immer kaum über die berühmte »Nische« hinausgekommen.

Apropos Polizei: in nahezu allen Bundesländern sind verdachtsunabhängige Kontrollen nach ethnischen Kriterien zumindest in bestimmten Gegenden (z. B. an Bahnhöfen) an der Tagesordnung. Das nennt sich »Racial Profiling« und ist nach EU-Recht als Diskriminierung definiert und nicht erlaubt, gehört aber trotzdem zu den Erfahrungen vieler nicht-»weißer« Menschen in Deutschland. Über den institutionellen Rassismus ist in Zusammenhang mit den skandalösen Ermittlungen zu den NSU-Morden (»Döner-Morde«, »SoKo Bosporus«) gelegentlich gesprochen geworden, der noch immer nicht aufgeklärte Tod von Oury Jalloh in einer Polizei-Zelle in Dessau ist nur der bekannteste einer Reihe von ähnlichen Fällen.

Oury Jalloh kam aus Sierra Leone. Einer, der hier – wie die meisten Afrikaner und Afrikanerinnen – »Wirtschaftsflüchtling« genannt wird. Die Armut, die Unterdrückung, die Unmöglichkeit eine Lebensperspektive zu entwickeln, die auch nur die elementarsten Grundbedürfnisse eines Menschen befriedigen kann, wird als Fluchtgrund nicht anerkannt. Die Folgen der globalen Wirtschaftsordnung, die auf der einen Seite kaum noch profitabel anzulegenden Kapital-Überschuss produziert, auf der anderen hingegen das Elend, das derzeit weltweit mehr als 60 Millionen Menschen auf die Flucht treibt, werden individualisiert und – in gewisser Weise – ethnisiert.

»Wir« müssen »unseren« Lebensstandard verteidigen, gegen die, die »in unsere Sozialsysteme einwandern« wollen. Das sind ja beileibe nicht nur Pegida und die AfD, die damit auf Stimmenfang gehen, sondern das sind die ganz normalen deutschen Zustände. Von Seehofer bis Wagenknecht gehen deutsche Politiker damit hausieren, dass sie den deutschen Michel, die »hart arbeitenden Menschen«, die auf Sozialleistungen Angewiesenen, die in Armut lebenden Kinder vor »Flüchtlingsströmen, Asylbetrügern oder den Lohn drückenden Arbeitsimmigranten« schützen und deshalb die Mauern um Europa höher ziehen wollen.

Dafür werden Milliarden an Erdogan überwiesen, zum permanenten Krieg im Osten der Türkei und zum Überfall auf den Nordosten Syriens geschwiegen. Dafür wird eine Koalition aus Warlords in Libyen als legitime Regierung anerkannt, werden bewaffnete Banden als »Küstenwache« ausgebildet und ausgestattet. Beim sog. Khartoum-Prozess wird darüber verhandelt, wie die von Diktatoren regierten Länder Nordostafrikas »ertüchtigt« werden können, Flüchtende aus Eritrea, Somalia oder Sudan an der Ausreise zu hindern.

Westafrikanische Regierungen werden unter Druck gesetzt, die seit Menschengedenken offenen Grenzen zu schließen und damit noch funktionierende Wirtschaftskreisläufe zu stoppen, damit sich keiner mehr ohne elektronischen Pass (made in der Bundesdruckerei) bewegen kann. Weil auch das natürlich die Verzweifelten nicht davon abhalten kann, sich auf den Weg zu machen, wählen sie statt der eingefahrenen Pisten weit gefährlichere Wege. Nahezu 2.300 Menschen sind laut UNHCR 2018 im Mittelmeer ertrunken, mindestens genauso viele haben den Weg durch die Sahara nicht überlebt.

Diesen Konsens in der Öffentlichkeit sichtbar zu durchbrechen ist eine zentrale Herausforderung für Antifaschistinnen und Antifaschisten in diesen Zeiten. Mit vielen Aktivitäten in der internationalen Woche gegen Rassismus, bei den großen Demonstrationen, die in allen Regionen für das Wochenende vor der Europawahl geplant sind und wo immer der rassistische Alltag Widerspruch verlangt.

Transportunternehmer, die über Jahrzehnte den Verkehr zwischen Niger und Libyen organisiert haben, müssen mit empfindlichen Strafen rechnen, wenn sie ihrem Geschäft weiter nachgehen. Seenotrettung im Mittelmeer wird kriminalisiert. Meldungen über Abschiebungen nach Nordafrika oder Afghanistan werden wie Erfolgsmeldungen verkündet. Die Warnung vor bevorstehenden Abschiebungen soll künftig als Straftat geahndet werden.