Kalkulierte Erregung
7. April 2019
Oder: Wie platziere ich einen Bestseller?
Bücher, die es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffen, sind nicht immer große Literatur. Das weiß man von den Tischen, auf denen die »angesagten« Titel prangen. Und von den geistvollen Verrissen des Kritikers Denis Scheck. Kunst und Kommerz gehören nicht unbedingt zusammen, doch was am Ende bleibt, ist der Verkaufserfolg. Er adelt noch das schwächste Werk und verleiht dem stolzen Schreiber den fürderhin verkaufsfördernden Titel »Bestsellerautor«. Ein freudiges Ereignis für jeden Verlag.
Das weiß auch der renommierte Hanser-Verlag, der jüngst in Takis Würger, einem jungen Spiegelredakteur, einen Hoffnungsträger in Sachen Verkaufserfolg gefunden hat. Würgers Roman »Der Club« hat sich gut verkauft, da musste doch noch was zu machen sein…
So erblickte »Stella« das Licht der Welt. Sein zweiter Roman und er kam schnell. Verlagsleiter und Lektor legten noch selbst mit Hand an, denn der Autor ist erst 33 und seine künstlerischen Mittel sind begrenzt – kein Problem. Homestories gehören zum Marketing und der Erfolg kann viele Väter haben. Hauptsache, die Botschaft: »Das wird ein ganz besonderes Buch!«, kommt an.
Das tat sie. Stufe eins der Marketingkampagne hatte funktioniert. Schon am Tage des Erscheinens von »Stella« reagierten die Feuilletons einhellig mit gepfefferten Verrissen. Da war von »Holocaust-Kitsch« die Rede und von »Nazigräueln im Kinderbuchstil«. Den Hauptgrund für die schlechten Noten aber lieferte die Story selbst. Würger nutzt tatsächlich die Geschichte der Berliner Jüdin Stella Goldschlag, die als »Greiferin« für die Gestapo tätig war, als Material für einen Kitschroman mit Sex, Gewalt und Orgien. Darf man das? Weit über die Bedeutungslosigkeit des Romans hinaus, hob eine große Diskussion über Kunst und Ethik an. Und mittendrin der Titel: »Stella«. Den musste man gelesen haben. Stufe zwei war umgesetzt, das öffentliche Interesse angefacht. Nun musste nur noch der Verkauf gesteigert werden. Auch hier ging der Verlag forsch voran. Auf dem Höhepunkt der Diskussion sprang mich auf einem Server, der sein kostenloses Angebot mit Werbung finanziert, das Stella-Cover an, dazu der blinkende Befehl »Jetzt direkt bestellen!« Bis zu diesem Tag war hier noch nie ein Buch beworben worden – in Konkurrenz mit Gleitsichtbrillen und Computerzubehör.
»Ich wollte mit meinem Roman eine fiktive Geschichte schreiben, die berührend genug ist, dass die Leser sie zu Ende lesen, und ich wollte damit klarmachen, wie grausam, boshaft und perfide das Naziregime war.«, reagierte Würger auf seine Kritiker. Ein legitimer Anspruch. Schon immer hat die Kunst Geschichte als Material benutzt, Krieg und Faschismus eingeschlossen. Doch hat er seinen Anspruch auch eingelöst? Eher nicht, denn dafür reichte seine Gestaltungskraft nicht aus. Weder die Personen, noch ihr Umfeld stimmen. Alles wird behauptet, nichts entwickelt. Berlin im Kriegsjahr 1942 bleibt Kulisse. Die Originalnachrichten, die er vor jedes Kapitel stellt, verblüffen durch ihre Auswahl. Das Ganze wirkt schnell hingehauen und ohne Tiefe – Unterhaltungsliteratur eben.
Ohne die Verquickung mit der geschichtlichen Person Stella Goldschlag wäre Würgers Buch zu Recht völlig unbeachtet geblieben und genau darin liegt das moralische Problem. Die tragische Geschichte der jüdischen Verräterin wird hier nicht aufgehellt sondern missbraucht Und zwar für einen kommerziellen Coup. Das haben viele Kritiker gespürt und das hat sie aufgebracht. Mit ihren Reaktionen aber haben sie ihn ungewollt bedient. Der Plan ist aufgegangen.
Die Geschichte hat noch einen anderen tragisch-komischen Aspekt. Takis Würger selber war an diesem Plan wahrscheinlich nicht beteiligt, denn er fühlt sich offensichtlich als literarisches Genie. Am Ende des Romans bedankt er sich bei allen, die an dem Werk beteiligt waren. Großzügig und begeistert braucht er dafür zwei ganze Seiten, die stark nach Oscar-Dankesrede klingen. Doch wird das schon für eine Nominierung zum deutschen Buchpreis reichen? Im Moment steht »Stella« nur auf Platz vier der Spiegel-Bestsellerliste. Da müsste doch noch was zu machen sein…
Zum Weiterlesen
»Auschwitz als Steinbruch. Was von den NS-Verbrechen bleibt.« Thomas Willms, PapyRossa, 12.90 Euro
Zu beziehen auch über den Shop der VVN-BdA