Vom Mantel des Schweigens

geschrieben von Monika Becker

7. April 2019

Wie deutsche Kommunisten in der Sowjetunion litten

Die leidvolle Geschichte ihrer jüdischen Familie zu erforschen, war Ziel der Autorin Anja Schindler. 1949 in Karaganda/ Kasachstan geboren, kam sie mit ihren Eltern und dem Bruder 1956 in die DDR. Hier lebte die Familie ihrer Mutter. Bei allem Persönlichen legt sie eine genau recherchierte, in die Geschichte der Sowjetunion eingebundene Familiengeschichte vor. Eine Geschichte, die in der DDR unbekannt war. Und das nicht, weil es niemanden gab, der davon erzählen hätte können.

Der Mantel des Schweigens wurde über das Grauen gelegt, weil das Gesicht des Sozialismus Schaden genommen hätte. Und die, die davon erzählen hätten können, wurden mit Parteiausschluss bedroht. Das war für die meisten so etwas wie Verbannung oder das Ausgestoßen werden aus der Familie.

Als Ende der zwanziger Jahre dafür geworben wurde, als Fachkräfte beim Aufbau der Sowjetunion zu helfen und Freunde schon dort waren, beschlossen Anna und Rudolf Thieke, es ihnen gleich zu tun. Zudem gab es im August 1931 wegen eines Polizistenmordes eine Verhaftungswelle in Berlin und für Thiekes bestand die Gefahr, ebenfalls verhaftet zu werden. Als aktive Mitglieder der KPD und deren Jugendorganisation wurde das Leben in Deutschland für die Familie zunehmend gefährlich.

Mit ihren Kindern, Rudolf, geboren 1916, Günter, geboren 1918 und Ursula, geboren 1921, verließen sie im Oktober 1931 Deutschland.

Über die verschiedenen Stationen der Familie wurde von Anna in Briefen an die Familie und Freunde in Berlin berichtet. Sie endeten 1937, als Anna erschossen wurde. Alle Bilder und Aufzeichnungen der Getöteten wurden durch den KGB vernichtet, darunter wahrscheinlich auch Annas Tagebücher.

Erst in den 1990er Jahren war es Anja Schindler möglich, die Geschichte ihrer Familie umfassend zu erforschen. Dazu nutzte sie Archive in Deutschland und Russland.

Einen großen Raum gibt die Autorin in ihrem ersten Buch dem Haus in der Detzkaja uliza Nr.3 in Leningrad. In diesem Haus lebten vorwiegend Ausländer. Vor allem Deutsche, aber auch Finnen, Esten, Österreicher, Franzosen und sowjetische Staatsbürger mit ihren Kindern. Die meisten waren berufstätig und beteiligten sich an Sprachkursen, politischen Kursen und am Sport. Sie hatten einen Antrag auf Anerkennung als sowjetischen Staatsbürger gestellt.

Dem Antrag wurde nie stattgegeben. Dafür stand die Familie auf einer Liste der zu verhaftenden Personen nach der deutschen Besetzung. Dazu ist es nicht aber nicht mehr gekommen.

1937 wurden nach und nach die Erwachsenen durch die »Schwarzen Raben« aus dem Haus geholt. Unter der Anklage der Teilnahme an einer Diversions-, Spionage- und Terrororganisation wurden auch Anna und Rudolf Thieke und der älteste Sohn Rudolf (Junior) verhaftet. Mutter und Sohn wurden erschossen, der Vater nach drei Jahren Haft zur Arbeit an einer Eisenbahnstrecke verurteilt.

Seine Tochter, Ursula Thieke, wurde mit dem Überfall Deutschlands 1941 auf die Sowjetunion als feindliche Ausländerin inhaftiert und 1942 nach Karaganda in Kasachstan verbannt. Als Vater Rudolf sie 1954 in Kasachstan wieder sah, war sie verheiratet mit Meir Schwartz und hatte zwei Kinder.

Das zweite Buch ist Meir Schwartz, dem Vater der Autorin, gewidmet. Im Laufe seines Lebens hatte er vier Staatsbürgerschaften. Geboren 1915 im Habsburger Reich, wuchs er im späteren Rumänien auf. 1940 flüchtete Schwartz vor antisemitischen Morden in Rumänien in die Sowjetunion und wurde noch an der Grenze festgenommen. 1956 kam er zur Familie seiner Frau und wurde DDR-Staatsbürger, nach der Wiedervereinigung 1990 Bürger der Bundesrepublik Deutschland.

»...Verhaftet und Erschossen. Eine Familie zwischen Stalins Terror und Hitlers Krieg«, Anja Schindler, erschienen bei dietz berlin 2016, 24,90 Euro

»…Verhaftet und Erschossen. Eine Familie zwischen Stalins Terror und Hitlers Krieg«, Anja Schindler, erschienen bei dietz berlin 2016, 24,90 Euro

Gemeinsam mit anderen Betroffenen nahm die Autorin am 31.Mai 2013 in Karaganda am offiziellen Gedenktag für die Opfer politischer Repressionen teil. Mehr als 50 Jahre nachdem sie ihre Geburtsstadt in Richtung Deutschland verlassen hatte.

Diese Stadt war die Stadt ihrer schönen Kindheit. Hier war die Familie zusammen. Für ihren Vater, der 1940, seit seiner Flucht vor der Judenverfolgung aus Rumänien, unter unmenschlichen Bedingungen in Workuta Zwangsarbeit verrichten musste, war es ungeliebte und ungewollte Heimat.

Zur Thematik gab es auch eine Wanderausstellung der Rosa -Luxemburg- Stiftung, die unter dem Titel »Ich kam als Gast in euer Land gereist…« in der Gedenkstätte deutscher Widerstand zu sehen war. Ein Katalog zur Ausstellung ist im Lukas Verlag für Kunst-und Geistesgeschichte 2013 erschienen.

 »Die drei Leben des Meir Schwarz«, Das Schicksal meines Vaters, Anja Schindler, erschienen bei Hentrich&Hentrich 2018, 19,90 Euro