Nie korrigiertes Justizversagen

geschrieben von Axel Holz

11. Juli 2019

Spielfilm über die Hintergründe eines Mordprozesses

Nach langem Schweigen wurde in Deutschland das unbewältigte NS-Erbe auch künstlerisch thematisiert. Ob in den 60er Jahren mit »Die Ermittlung« von Peter Weiss und »Der Stellvertreter« von Rolf Hochhuth oder 2013 im Film »Der Rosengarten« über die Kinder vom Bullenhuser Damm und deren Mörder – seit etwa 60 Jahren gibt es eine gesellschaftliche Debatte über den Umgang der Deutschen mit ihren Kriegsverbrechern. Mit der jüngsten Verfilmung des 2011 erschienenen Romans »Der Fall Collini« von Ferdinand von Schirach durch Regisseur Marco Kreuzpainther wird diese Tradition zugespitzt. In diesem Film geht es nicht nur um die jahrzehntelange Verschleierung von NS-Kriegsverbrechen und um die Behinderung ihrer Verfolgung durch die NS-durchsetzten Eliten der 50er und 60er Jahre, sondern um das Versagen des Staates. Warum kamen eigentlich so wenige NS-Kriegsverbrecher vor Gericht? Eine Ursache dafür liegt in einem unscheinbaren Gesetz aus dem Jahre 1968, dem nach dem ehemaligen Nazi-Staatsanwalt und Ministerialbeamten benannten »Dreher-Gesetz«. Als »Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (EGOWiG)« wurde es kritiklos durch den Bundestag gewinkt und hatte doch verheerende Auswirkungen auf die Verfolgung von NS-Kriegsverbrechern. Aus Mördern machte es Mordgehilfen, deren Taten 1960 verjährt waren. Das Gesetz unterbrach sofort viele bereits laufende Verfahren. Auf dieser Grundlage mussten nun ehemaligen Wehrmachtssoldaten und SS-Leuten erst individuell niedrige Beweggründe oder andere Mordmerkmale nachgewiesen werden, um eine Verurteilung zu erwirken. Der Film bringt das vergessene Schand-Gesetz wieder ans Tageslicht und zeigt in einer auf Tatsachen beruhenden Geschichte, welche verheerende Wirkung der Staat mit einem Recht bewirkte, dass die NS-Opfer im Stich ließ und die Täter schützte.

Der Spielfilm »Der Fall Collini« thematisiert neben dem jahrzehntelangen Versagen des bundesdeutschen Staates bei der Verfolgung von NS-Kriegsverbrechern dessen Kollaboration mit den Tätern. Ein unscheinbares Gesetz verhinderte 1968 die effektive Verfolgung von Kriegsverbrechern.

Der Spielfilm »Der Fall Collini« thematisiert neben dem jahrzehntelangen Versagen des bundesdeutschen Staates bei der Verfolgung von NS-Kriegsverbrechern dessen Kollaboration mit den Tätern. Ein unscheinbares Gesetz verhinderte 1968 die effektive Verfolgung von Kriegsverbrechern.

Im Film tötet der vom alternden Franc Nero gespielte Gastarbeiter Fabricio Collini den angesehenen Industriellen Hans Meyer in einer Berliner Hotelsuite – scheinbar ohne jedes Motiv. In Deutschland führte er seit dreißig Jahren ein unauffälliges Leben, bevor er überraschend den wohlhabenden und sympathisch wirkenden Konzern-Vorstand erschießt und wütend auf sein Opfer eintritt. Ein guter Job-Start für den frisch gebackenen Strafrechtler Caspar Leinen, gespielt von Elyas M’Barak, der vielen aus »Türkisch für Anfänger« und »Fack ju Göhte« bekannt ist. Schwierig wird es für den Anwalt, als er erfährt, dass das Opfer sein ehemaliger Ziehvater ist, der den türkischstämmigen Jungen bereits früh gefördert hatte. Caspar, der Junge einer alleinerziehenden türkischen Mutter, hatte bei ihm faktisch ein zweites Zuhause gefunden. Fabrikbesitzer Meyer wiederum war der Großvater eines Schulfreundes, der ihn vor rassistischen Anwürfen des eigenen Enkels in Schutz nahm – anders als in Schirachs Buchvorlage, in der der Industrielle Meyer ein unbelehrbarer Sadist ist.

Schwierig wird es für ihn auch dadurch, dass Alexandra Maria Lara in der Rolle von Johanna Meyer die Enkelin des Industriellen und seine Jugendliebe ist, die nun alles für die Aufklärung des Mordes tut. Nur mit Mühe gelingt es dem jungen Anwalt Leinen, die Motive des müden Gastarbeiters während des Prozesses zu ermitteln, der im ganzen Film nur wenige Sätze von sich gibt und dennoch mit ausdrucksvoller Verbitterung beeindruckt. Wie bei Schirach im Buch besteht der Coup des Anwalts Leinen auch im Film darin, dass er die deutsche Justiz auf die Anklagebank setzt. Der Gastarbeiter Collini hatte als Kind mit ansehen müssen, wie SS-Offizier Meyer seinen Vater zusammen mit weiteren Männern des Dorfes Montecatini 1944 im Rahmen einer sogenannten Vergeltungsaktion erschoss. Die Mörder des Massakers wurden nie bestraft, sondern im Gegenteil durch eine Rechtsänderung erst vor Verfolgung geschützt, wie Anwalt Leinen im Prozess offenbart. Realistisch erscheint auch, dass der erfahrene Onkel des Industriellen als renommierter Strafrechtsprofessor Richard Mattinger in Absprache mit Enkeltochter Johanna Meyer nicht nur als Kläger auftritt, sondern eine Offenlegung des Nazi-Vergangenheit des angesehenen Industriellen mit allen Mitteln zu verhindern sucht. Die Mittel reichen von der Einschüchterung bis zum Angebot, Anwalt Leinen bei Verzicht auf die Verteidigung lukrative juristische Aufträge in Aussicht zu stellen. Der Film bleibt bis zum Schluss spannend. Tatsächlich wurde bis auf eine Ausnahme kein deutscher Wehrmachts- oder SS-Täter jemals von einem deutschen Gericht wegen in Italien begangener Kriegsverbrechen verurteilt. Es ist das Verdienst dieses Films, dass er das schwer verständliche und nie korrigierte Versagen der deutschen Justiz bei der Verfolgung von Naziverbrechen einem breiten Kinopublikum eindrucksvoll ins Bewusstsein rückt.